Koch: „Unsere Regierung muss ein Informations- und Vetorecht bekommen, wenn ein ausländischer Staatsfonds an einem deutschen Unternehmen einer nennenswerten Größe 25 Prozent der Anteile erwirbt.“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: Herr Koch, verliert die CDU die Liebe zur Marktwirtschaft?
Roland Koch: Wie kommen Sie denn da drauf? Die CDU ist die Partei der Sozialen Marktwirtschaft. Die Marktwirtschaft ist das wesentliche Organisationsprinzip.
FAS: Vier jüngere Unionspolitiker warnen in einem Papier vor bedingungslosem Gewinnstreben, maßlosem Wettbewerb und einseitigen Wirtschaftsinteressen. Das klingt wie Oskar Lafontaine.
Koch: Bitte beleidigen Sie die jungen Kollegen nicht. Wenn die jungen Kollegen deutlich machen wollen, dass wir nicht die Partei des Manchester-Kapitalismus sind, dann haben sie damit schlicht recht. Mein Eindruck ist, sie wollen dafür streiten, dass wir uns im täglichen Tun von Werten wie Verlässlichkeit, Fairness, Respekt und Disziplin leiten lassen. Es käme mir nicht in den Sinn, dass zu kritisieren. Für Oskar Lafontaine sind das bekanntlich Sekundärtugenden, für mich unabdingbare Prinzipien im menschlichen Zusammenleben.
FAS: Und die Union will es ausländischen Investoren schwer machen, deutsche Unternehmen zu kaufen.
Koch: Das stimmt nicht. Keiner will ausländische Investoren bremsen.
FAS: CDU-Ministerpräsident Rüttgers will Deutschlands Tore für Finanzfonds schließen, die „irgendwo in der Karibik sitzen und sich Transparenzregeln entziehen“.
Koch: Jürgen Rüttgers will keine Tore schließen. Aber er will Transparenz. Und damit steht er ja nun wirklich nicht allein.
FAS: Sie selbst wollen Investoren unter staatlichem Einfluss bremsen.
Koch: Ja, in der Tat. Wir erleben ein neues Phänomen in der globalisierten Welt. Staaten treten mit milliardenschweren Fonds als Investoren auf und kaufen ausländische Unternehmen, um politischen Einfluss auszuüben. Ihnen geht es nicht um Rendite, sondern um politische Macht. Um deutsche Interessen wahren zu können, muss der deutsche Staat ein Vetorecht bekommen.
FAS: Welche Branchen würden Sie vor Übernahmen bewahren wollen?
Koch: Ich möchte keine Branchengrenzen ziehen. Unsere Regierung muss ein Informations- und Vetorecht bekommen, wenn ein ausländischer Staatsfonds an einem deutschen Unternehmen einer nennenswerten Größe 25 Prozent der Anteile erwirbt.
FAS: Deutsche Unternehmen wie Daimler-Chrysler oder Thyssen-Krupp sind gut damit gefahren, dass Staatsfonds der Golfstaaten an ihnen beteiligt waren.
Koch: Ja, aber es waren eben nur finanzielle Beteiligungen unter 25 Prozent, die uns auch in Zukunft nicht interessieren.
FAS: Gehört der russische Energieriese Gazprom zu den kritisch zu betrachtenden Investoren?
Koch: Ja. Das Unternehmen wird komplett vom Kreml gelenkt.
FAS: Gazprom soll einen deutschen Energieversorger wie RWE also nicht kaufen dürfen?
Koch: Unsere Regierung soll sich bestimmte Vorgänge anschauen können, um im Zweifel ablehnen zu können. Tun Sie doch bitte nicht so, als ob wir uns eine Sonderregelung ausbedingen wollen. Alle Industrie- und Schwellenländer haben längst solche Übernahmeregeln, selbst das liberale Großbritannien. Die Ausnahme ist Deutschland. Wir sind die einzigen Dummen und können deshalb schutzlos ins Visier von Staatsfonds kommen. Das sollten wir beenden.
FAS: Gerade Gazprom hat große Anstrengungen unternommen, die Rendite zu verbessern. Das Unternehmen würde deutsche Firmen kaufen, um Geld zu verdienen.
Koch: Da sind Sie klüger als ich. Mein Eindruck ist, dass der Kreml seine Energiereserven und -konzerne durchaus auch nutzt, um außenpolitischen Druck auszuüben. Wir haben eine neue Situation in der Weltwirtschaft. Ehemals sozialistische Länder mit dem klassischen Politikverständnis, dass der Staat die Wirtschaft bestimmt, sind reich geworden und gehen im Ausland einkaufen. Am Ende kommen Unternehmen unter ausländische Staatskontrolle, die wir gerade privatisiert haben, wie die Telekom, die Post oder die Energieversorger. Da müssen wir vorbauen.
FAS: Ist das nicht eine Gespensterdebatte? Wo ist denn das abschreckende Beispiel, das Deutschland veranlassen muss, Übernahmen durch Staatsfonds zu beschränken?
Koch: Zugegeben, die Frage wundert mich. Wollen wir erst abwarten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, weil wir als Einzige keine Schutzmöglichkeiten haben? Das wäre keine vorausschauende Politik. Zudem geht es nicht um Beschränkung, sondern um das Recht auch der deutschen Regierung, nein sagen zu können. Nicht mehr und nicht weniger. Jede Regierung dieser Welt beansprucht dieses Recht für sich.
FAS: Können Sie trotzdem ein abschreckendes Beispiel nennen?
Koch: Ich will auf einen nicht abschreckenden Vorgang hinweisen, aus dem wir aber dennoch etwas lernen können. Es war nach meiner Ansicht ein Fehler, den Energieversorger Energie Baden-Württemberg an die französische EdF zu verkaufen, die jetzt nach der Fusion mit Suez zu einem der größten Energiekonzerne gehört und unter starkem Einfluss der Pariser Regierung steht. Wir hatten gedacht, unsere Großzügigkeit würde Frankreich veranlassen, seinerseits Übernahmen durch deutsche Unternehmen zuzulassen. Das hat nicht funktioniert.
FAS: Aber hat das EnBW oder den Kunden geschadet?
Koch: Deutschland Tore sind jetzt offen, Frankreichs dagegen weiterhin zu. Das ist für Deutschlands Bürger kein Vorteil. Es geht auch darum, dass Länder fair miteinander umgehen und Reziprozität erlauben: Wie ich dir, so du mir. Die chinesische Regierung bildet zurzeit vier Stahlkonglomerate, die die Hälfte der Weltstahlproduktion kontrollieren werden. Ausländische Unternehmen dürfen sich an den Konzernen nicht beteiligen. Wir sollten uns von der Illusion befreien, dass auf der Welt nur Unternehmen nach fairen Regeln miteinander agieren und Regierungen die Hände in den Schoß legen. Fast überall bedienen sich Regierungen großer Unternehmen und umgekehrt. In unserem nationalen Interesse müssen wir darauf reagieren können.
FAS: Warum beklagen Sie sich? Einige Regierungen haben erlaubt, dass von der deutschen Politik beeinflusste Unternehmen wie Post, Telekom, Bahn, Fraport oder sogar Landesbanken im Ausland Beteiligungen erwarben.
Koch: Ja. Aber Post und Telekom mussten sich hochnotpeinlichen Untersuchungen in den Vereinigten Staaten unterziehen, bevor sie den Zuschlag für ihre Beteiligungen bekamen. Und noch ein Argument will ich Ihnen liefern: Wir fördern den Trend zu Privatisierung von staatlichen Unternehmen im Ausland, wenn für private ausländische Unternehmen die Tore nach Deutschland geöffnet sind.
FAS: Wenn ein ausländischer Investor in Deutschland nennenswerte Unternehmensbeteiligungen erwirbt, erntet er Skepsis. Wenn ein ausländischer Käufer der Regierung Bundesanleihen oder Schatzbriefe abkauft, ist er plötzlich beliebt.
Koch: Die Möglichkeiten der Einflussnahme über Anleihen sind begrenzt. Und außerdem wird gerade in Amerika genau diese Debatte geführt. Die Regierung selbst hat die Möglichkeit, strategisch zu verkaufen oder weniger Schulden zu machen.
FAS: Ihr Berliner Partner SPD liebäugelt damit, Hedge-Fonds und Private-Equity-Gesellschaften den Kauf von Anteilen an deutschen Schlüsselindustrien zu verwehren.
Koch: Eine solche Beschränkung ist mit der Union nicht zu machen. Mit uns gibt es keine Beschränkungen von Kapitalanlagegesellschaften. Es wäre grundfalsch, diese Formen der Beteiligungen zu bremsen. Ich hoffe, die SPD kommt zur Besinnung. Deutschland profitiert von der internationalen Kapitalverflechtung.
FAS: Gegen eine Übernahme der Deutschen Börse durch Hedge-Fonds, wie sie passiert ist, würden Sie sich nicht sperren?
Koch: Ich persönlich glaube, dass an dieser Stelle Politik nicht zuständig und im Grunde überfordert ist. Aber mir gefällt die Situation natürlich nicht. Wir wären in einer viel beruhigenderen Lage, wenn die deutschen Banken einige strategische Überlegungen angestellt hätten, statt simpel und kurzsichtig auf kurzfristigen Gewinn und Steuerersparnis zu zielen und die Beteiligungen zu verkaufen. Die Börse hätte heute mehr strategische Optionen. Das geben die Banker ja heute auch zu.
FAS: Sie haben Sehnsucht nach der Deutschland AG.
Koch: Sie war besser als ihr Ruf und hat zum Wohlstand in diesem Land beigetragen. Ihre Auflösung war zu schnell und zu wenig strategisch. Daraus müssen wir lernen.
Das Interview führten Winand von Petersdorff und Christian Siedenbiedel.