Koch: „Die Debatte über den Begriff des Konservativen ist doch gut. Diese Diskussion zeigt, dieser Begriff ist wieder aktuell geworden.“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit „Berlin direkt“
ZDF: Die Umfragen in Hessen wie auch im Bund zeigen: Die Union ist zwar stärkste Kraft, aber längst nicht mehr so stark wie früher. Wie wollen Sie denn das Ruder herumreißen? Sind neue Themen oder stärkere Personalisierung das Rezept?
Roland Koch: Themen und Personalisierung werden in den Wahlkämpfen der Zukunft immer stärker eine Rolle spielen, denn der Wähler hat am Ende nur eine Stimme. Er macht kein Gesamtgutachten mit unterschiedlichsten Aspekten, sondern er muss einen Summenstrich ziehen und dann „Ja“ oder „Nein“ hinter eine Partei schreiben. Dem müssen sich Parteien anpassen. Ich glaube, dass das nach wie vor möglich ist.
Die Union in Deutschland hat die Hälfte der Stimmen und mehr in den Ländern und im Bund bei vielen Wahlen errungen. Es gibt gar keinen Grund zu glauben, diese Wähler stünden für die Zukunft nicht mehr bereit. Man muss sie überzeugen, man muss sie gewinnen. Dazu braucht man auch neue Strategien. Aber man darf nicht die Berechtigung aufgeben, als eine starke Volkspartei weiterhin dominierend auch in einem Zweier-Koalitionssystem in Zukunft in Deutschland arbeiten zu können.
ZDF: Auf der einen Seite sagt man in der Union, es wird immer mehr sozialdemokratisiert. Auf der anderen Seite sagt ihr künftiger Kollege Günther Beckstein heute, wir müssen uns den Rechten stärker öffnen. Wie wollen Sie denn diesen Spagat hinkriegen?
Koch: Das ist die Grundaufgabe der Christlich Demokratischen Union: Von sehr konservativen Wählerinnen und Wählern bis zur liberalen Mitte alle zu umfassen, um den Kompromiss, den wir in den Parteien CDU/CSU finden, auch als einen möglichen Kompromiss für die ganze Gesellschaft bieten zu können. Wenn wir das nicht mehr schaffen, wenn wir daran als Union so scheitern wie die Sozialdemokraten auf der linken Seite in den letzten Jahren daran gescheitert sind, dann wird es schwierig auch für die Volkspartei CDU/CSU. Aber ich sehe darin keine Gefahr.
Die Debatte, die wir in diesen Tagen führen, über den Begriff des Konservativen ist doch gut. Diese Diskussion zeigt, dieser Begriff ist wieder aktuell geworden. Er gehört keineswegs zum alten Eisen. Er ist ein Teil der Union, genauso wie der soziale und der liberale Flügel. Wenn wir das hinreichend klar betonen, kann man damit auch die Hälfte der Menschen in einem Land erreichen und sie überzeugen, einen zu wählen.
ZDF: Wenn wir die These des Politologen Karl-Rudolf Korte, die Zeit der Volksparteien mit den satten 40 Prozent sei vorbei, nehmen und es ein Zweierbündnis nicht geben wird – würden Sie sich für die Grünen öffnen?
Koch: Ich nehme die These so nicht. Ich habe Respekt vor Professoren, aber ich glaube, dass Meinungsumfragen nicht die Geschichte für die Zukunft gestalten und gestalten dürfen. Wir in der Politik müssen um die Menschen ringen. Ich persönlich und viele andere, wir haben zu viele Wahlen gestaltet. Wir haben zu viele Ergebnisse erreicht, die uns nie jemand vorher zugetraut hat, als dass ich mit einer solchen These leben könnte.
ZDF: Aber das letzte Ergebnis wollten Sie ja alle nicht, nämlich die Große Koalition. Soll es die denn bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag geben?
Koch: Die wird es nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag geben. Viele Menschen sind – nachdem Journalisten über viele Jahre öffentlich verkündet hätten, die Große Koalition sei das Beste auf der Welt – inzwischen auch ein Stück ernüchtert. Die nächste Bundestagswahl wird klare Richtungsentscheidungen ermöglichen. Um die müssen die Parteien kämpfen, so wie in den Ländern. Die Grünen spielen dabei auch eine Rolle. Wir in der Union arbeiten auf kommunaler Ebene heute viel mehr mit ihnen zusammen als früher, gerade auch in Hessen. Aber die prinzipiellen Unterschiede auf der nationalen Ebene sind immer noch sehr, sehr groß.
Aus meiner Sicht sollte die CDU sich nicht versuchen nach allen Seiten zu verbiegen, sondern ihre Kernkompetenz, mit der sie über Jahrzehnte arbeiten konnte, schärfen. Das bedeutet auch, Partner so auszuwählen, dass eine große Gemeinschaft im Programm besteht, mit der FDP geht das viel leichter als mit jedem anderen. Ich bleibe dabei, die Union hat die Kraft, deutlich über 40 Prozent zu kommen auch in Zukunft. Ich bin sicher, sie wird das im nächsten Jahr wieder beweisen und dann sind Koalitionen zu zweit in Deutschland genauso möglich wie in der Vergangenheit. Wir sollten nicht in vorauseilendem Gehorsam unser Profil kaputtmachen, das eigentlich diese Koalition ermöglicht, um dann darüber zu jammern, dass die Volksparteien nicht mehr die alte Kraft haben. Der andere Weg ist besser.