Die neuen Herausforderungen der Marktwirtschaft: Wie wir uns wappnen sollten um fairen internationalen Wettbewerb zu sichern
Ein Gastbeitrag von Ministerpräsident Roland Koch in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“
Smith und Ricardo sind Namen, die jedem Wirtschaftstheoretiker sofort einfallen, wenn es um die Grundprinzipien marktwirtschaftlicher Ordnungen geht. Der Wesenszug aller dieser Überzeugungen ist das Vertrauen auf die ordnende kreative Kraft der Freiheit und der Respekt vor der Eigenverantwortlichkeit jedes Individuums. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts haben die heute so oft falsch vereinnahmten oder unkundig beschimpften „Neoliberalen“ diese Prinzipien um eine soziale Dimension weiterentwickelt. Eucken, Röpke und Müller-Armack sind dafür markante Namen der besonders bekannten Freiburger Schule. Die von ihnen entwickelten ergänzenden prinzipiellen Elemente bezogen sich auf die Kontrolle der Macht und die soziale Balance.
Neoliberalismus war eine zeitgemäße Weiterentwicklung unter Beachtung von Menschenwürde und Freiheit sichernder Machtteilung. Das, was in den Geschichtsbüchern unter Manchester- Kapitalismus beschrieben ist, führte nämlich nicht nur zu ungeheurer wirtschaftlicher Blüte, sondern auch zu skrupellos ausgenutzten Monopolen und einem Heer verelendeter Arbeitnehmer in den durch die Industrialisierung groß gewordenen Städten.
Solche ökonomischen Strukturen zerstören auf Dauer nicht nur die Dynamik des wirtschaftlichen Prozesses, vor allem sind sie in demokratischen Gesellschaften nicht überlebensfähig, denn eine Mehrheit wird sich einer solchen Lebensweise nicht freiwillig unterwerfen. Ob die Konsequenzen dann zur demokratischen Beendigung marktwirtschaftlicher Strukturen oder zu einer Marktwirtschaft unter undemokratischen Bedingungen führt, ist nicht voraussehbar, gedient ist den Menschen mit beiden nicht.
Wenn wir heute in Deutschland über die Bedingungen der Fortentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft auf einer internationalen Ebene sprechen, stehen wir wahrscheinlich zum zweiten Male vor der Herausforderung, eine freiheitliche Wirtschaftsordnung – diesmal auf einer globalen Ebene – zukunftsfähig zu machen.
Eine ganze Reihe von Veränderungen der Ausgangsbedingungen kommt dabei ins Blickfeld. Kapital-, Waren- und Informationsströme haben sich vollständig von politisch und wirtschaftlich homogenen Räumen abgekoppelt und bahnen sich global ihren Weg. International gesehen ist somit ein Stück des alten Manchester-Kapitalismus zurückgekehrt. Durchaus mit ähnlichen Folgen: erhebliche wirtschaftliche Dynamik aber auch unkontrollierte Machtstrukturen und soziale Ungleichgewichte, die zumindest demokratische Staaten so nicht hinnehmen können.
Aber genau hier kommt eine weitere neue Entwicklung hinzu. Im vergangenen Jahrhundert waren die erfolgreichen internationalen Wirtschaftsregionen die freiheitlich organisierten Staaten der Welt. Im realen Sozialismus waren die Armut und die ökonomische Unfähigkeit viel zu groß, so dass diese Staaten nicht viel mehr als Almosenempfänger der freien Welt sein konnten. Globalisierung und die wachsende Bedeutung einzelner Rohstoffe führen heute dazu, dass ein sehr erheblicher Teil von Markt und Kapital von staatsgesteuerten Einheiten aus Ländern ohne demokratische Basis gesteuert werden.
Wer die Regeln einer Sozialen Marktwirtschaft auf die internationale Ebene übertragen will, muß mit diesem neuen Phänomen fertig werden. Dies erfordert durchaus erhebliche Veränderungen im nationalen Recht, aber eben auch mutige und nicht immer konfliktfreie Schritte hin zu einer Weltwirtschaftsordnung, die sicherlich nicht binnen weniger Jahre verwirklicht werden kann, aber das darf keine Ausrede zum Zögern bei jetzt notwendigen Maßnahmen sein.
Es geht um die Herstellung von Zugangschancen zu Märkten auf Gegenseitigkeit, die heute nicht gewährleistet ist. Es geht um die Unterscheidung zwischen an wirtschaftlichen Interessen geleiteten Markteilnehmern und solchen, die staatspolitische Ziele mit wirtschaftlicher Macht durchsetzen wollen. Es geht auch um die gleichberechtigten Zugänge zu Rohstoffen, frei von politischen Bedingungen und die Schaffung eines Mindeststandards an internationaler Rechtssicherheit, ohne die globale Märkte mit freiem weltweitem Zugang zu geistigem Eigentum nicht existieren können.
Wenn auf diese Herausforderungen nicht in absehbarer Zeit Antworten gefunden werden, wird der Ruf nach Abschottung von Märkten in den demokratisch organisierten Staaten immer lauter werden. Diese Staaten könnten nämlich die doppelten Verlierer der Entwicklung sein. Zum einen verlieren sie ihre wirtschaftliche Dominanz auf den Weltmärkten und zum anderen werden sie von Wettbewerbern bedroht, die nach ganz anderen Regeln spielen, als freiheitlich verfasste Marktwirtschaften auf der Basis privaten Eigentums und rational durchschaubarer Zinsziele es gewohnt sind.
Um es weniger abstrakt zu beschreiben. Die Volksrepublik China hat mit ihren staatlich gelenkten Gesellschaften die Kupferproduktion Chiles der nächsten 15 Jahre nahezu vollständig aufgekauft. Weite Teile Afrikas sind im Augenblick Objekt einer solchen durch die chinesische Politik gesteuerten Aktion. Weder die USA noch Europa haben auf Grund ihrer freiheitlichen Verfassung irgendeine Chance, dem gleichgewichtig entgegenzutreten. Russland setzt seine Versorgungsmacht bei Öl und Gas heute schon als politische Waffe gegenüber seinen direkten Nachbarn ein. China und Russland haben zusammen inzwischen Handelsüberschüsse, die sie in der Welt anlegen werden, mit denen sie alle deutschen DAX-Unternehmen in einem Jahr vollständig zu Marktpreisen übernehmen könnten. So gebietet Chinas Zentralbank inzwischen über Devisenreserven von mehr als 1,2 Billionen US-Dollar und hat gerade in diesen Tagen knapp 10% des Großinvestors Blackstone erworben. Die Gedankenspiele Russlands über den Einstieg eines seiner gelenkten Unternehmen bei Telekom oder einem Energieversorger zeigen denn auch, dass dies keine Theorie mehr ist. Und gerade Russland wird uns spüren lassen, was ein staatliches Unternehmen und was ein staatlich gelenkter Kapitalist im Auftrag des Kreml ist.
Für Deutschland und Europa sind globalisierte offene Märkte und unter den Bedingungen einer internationalen sozialen Marktwirtschaft eine riesige Chance. Die Leistungsfähigkeit unserer Menschen und der Wirtschaftsunternehmen braucht niemanden auf der Welt zu fürchten und kann sich über jeden freuen, der in der Welt genug Geld verdient, um sich unsere guten Produkte und Dienstleistungen leisten zu können. Aber wir müssen gerade als Deutsche aufpassen, dass wir nicht von den neuen mächtigen Mitspielern als naive Trottel betrachtet werden, die von marktwirtschaftlichen Regeln träumen, während diese Fakten schaffen.
Manche unserer Verhandlungspartner in den sich gerade entwickelnden Staaten werden uns darauf hinweisen, dass die Ausbeutung ihrer Rohstoffe und Arbeitskräfte in den letzten beiden Jahrhunderten unter Beteiligung der Europäer so edel und sozial verantwortungsvoll nun auch nicht gewesen sei. Das ist richtig. Wir werden das Selbstbewusstsein entwickeln müssen, trotz dieser geschichtlichen Verantwortung – teilweise auch Schuld – einzufordern, dass heute Regeln gefunden werden, die unsere Interessen am Erhalt unseres Wohlstandes angemessen berücksichtigen.
Folgende 6 Punkte müssen die Entscheidungen der nationalen deutschen und der europäischen Politik im Hinblick auf die Etablierung von Bedingungen für eine Internationale Soziale Markwirtschaft leiten. Sie sind gerade zum Schutz der Marktwirtschaft notwendig, und sie sind im wohlverstandenen nationalen Interesse.
1. Europa hat ein Interesse an einer baldigen Einigung über ein neues Welthandelsabkommen. Auch die Europäer müssen dazu bereit sein, die Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte erheblich zu erleichtern. Der Schutz heimischer landwirtschaftlicher Produktion darf nicht durch Abschottung erreicht werden. Der Preis, den Europa durch Minderung seines Wohlstandes dafür zahlt, ist unvertretbar. Wir haben für Landwirte bessere Alternativen, die neuen Felder der Bioenergie sind nur ein wichtiges Beispiel. Europa muß von Amerika verlangen, ebenfalls entsprechende Schritte zu unternehmen.
2. Scheitert die WTO-Vereinbarung dennoch, dann muß Europa seine Zurückhaltung bei zweiseitigen Freihandelsabkommen unverzüglich aufgeben. Je schneller mehr dieser Abkommen dann abgeschlossen werden, umso besser ist es für Europa.
3. Im Falle des Scheiterns der WTO-Vereinbarung bekommt insbesondere die Zusammenarbeit mit Amerika besonders Gewicht. Europa und Nordamerika haben es dann für eine begrenzte Zeit in der Hand, durch die Schaffung gemeinsamer Standards und letztlich die Bildung einer gemeinsamen Freihandelszone mit einer aktiven Zollpolitik entscheidende Impulse für eine marktwirtschaftliche Weltordnung zu setzten. Auf eine absehbare Zeit kann keine andere Wirtschaftsregion der Welt ohne die intensive Nutzung des Europäisch/Amerikanischen Marktes erfolgreich werden. Jeder Wirtschaftsraum, sei es China, Indien oder Russland, der keine fairen Zollbedingungen für die Europäisch/Amerikanischen Unternehmen bietet, muß entsprechend hohe Zölle auch für den Marktzutritt in diese Zone in Kauf nehmen. In Zukunft werden weder Europa noch Nordamerika für sich allein in der Lage sein, solche Bedingungen durchzusetzen, aber gemeinsam kann dies für eine kurze historische Zeitspanne noch gelingen. Die Initiative von Bundeskanzlerin Merkel, über gemeinsame Europäisch/Amerikanische Standards zu sprechen, kann gegebenenfalls als Beginn entsprechender Initiativen genutzt werden.
4. Staatsunternehmen oder von Staaten gelenkte dürfen nicht die wichtigsten Spieler des Weltmarktes werden. Hier sind Großbritannien und Deutschland besonders verwundbar. In den meisten anderen Nationen des Westens gibt es wirksame Schutzmechanismen gegen die Übernahme von wichtigen Wirtschaftsbereichen durch ausländische Staatsunternehmen. Die amerikanischen Regeln (Exxon-Florio-Provision von 1988), die zu ähnlichen Konstruktionen wie dem deutschen Bundessicherheitsrat kommen, ist ein auch in Deutschland denkbares Beispiel. Hier muß Deutschland schnell nachziehen. Es ist kein unzulässiger Protektionismus, wenn wir verhindern, dass etwa ein mühsam privatisierter Energieversorgungskonzern oder die Telekom in die Einflusssphäre der russischen oder chinesischen Regierung gerät. Marktwirtschaft ist nach unserem Verständnis eben nicht politische Machtsausübung sondern „nur“ wirtschaftliche Konkurrenz. Wir werden dazu kommen müssen, dass Investitionen mit ausländischer Staatsbeteiligung einer Genehmigung der nationalen Regierung bedürfen. Dabei muß klar bleiben, dass es sich um ausländische Staatsbeteiligungen (mittelbar oder unmittelbar) nicht aber schlicht um ausländische Beteiligungen handelt. Zur internationalen Marktwirtschaft gehört, dass globalisierte Unternehmen überall möglich sein müssen.
5. Globalisierte Unternehmen werden immer stärkere Mächte in der Welt darstellen. Mancher Weltkonzern hat heute schon einen Umsatz, der deutlich größer ist als der Staatshaushalt eines mittelgroßen entwickelten Landes. Deshalb muß damit begonnen werden, ein internationales Kartellrecht zu entwickeln, dem sich alle WTO-Staaten unterwerfen. Die Europäisch/Amerikanischen Vereinbarungen und Regelungen, so schwerfällig sie auch sein mögen, können dafür ein Vorbild sein. Darüber hinaus müssen in einer marktwirtschaftlichen Weltordnung die Kapitalströme durchschaubar bleiben. Wir haben bei den deutschen Aktiengesellschaften eine sehr strenge Eigentümertransparenz eingeführt, dies muß auch international gelten. Konkret bedeutet dies, dass umgehend die im Rahmen der G7 aufgenommen Gespräche über Transparenz im Bereich der Hedge-Fonds und anderer Private Equity-Formen zu konkreten Ergebnissen geführt werden müssen, andernfalls muß es europäische Regeln geben, die ebenso streng durchgesetzt werden wie die SEC Transparenz-Regeln im amerikanischen Raum.
6. Nicht zuletzt müssen wir dafür sorgen, dass der Kapitalmarkt neben seiner internationalen Verantwortung auch nationale Vermittlungsstellen erhält. Die Deutsche Börse ist heute zu über 80% in Händen internationaler Anleger. Das Unternehmen entwickelt sich erfolgreich. Am Ende bleibt die Börse jedoch eine unverzichtbare Infrastruktur der deutschen und europäischen Volkswirtschaft. Also müssen wir durch das Börsenrecht mehr als bisher sicherstellen, dass nicht ausländische – möglicherweise auch US- amerikanische – Regelungen gegen den Willen der nationalen Gesetzgeber zum Standard erklärt werden. Auch hier haben andere Nationen durch entsprechende Regelungen längst Fakten geschaffen.
Mancher wird sich die Augen reiben und fragen, ob das wirklich Marktwirtschaft ist. Ja, es ist freie Entfaltung für Kapital-, Waren- und Dienstleistungsströme, aber unter gleichen Bedingungen. Privat konkurriert mit Privat, nicht aber der rohstoffreiche Staat übernimmt alle Privaten. Es wäre dumm so zu tun, als sei im Wettbewerb der Unternehmen der russische oder chinesische Staat auf einer Augenhöhe mit Exxon oder der Deutschen Bank. Eine solche Naivität würde die Chance für eine sozial verantwortete globale Marktwirtschaft beenden, bevor sie richtig begonnen hat. Noch ist es Zeit, in Ruhe zu handeln. Jeder sollte dabei wissen, die so grundlegende Frage nach Freiheit oder Staatswirtschaft wird sich auch auf globaler Ebene nicht ignorieren lassen.