Koch: „Den Glaube, dass der Staat immer der beste Anbieter ist, den teilen wir nicht.“
Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit „DIE WELT“
DIE WELT: Herr Ministerpräsident, der SPD-Vorsitzende Kurt Beck bezeichnet die CDU als „neoliberal“. Fühlen Sie sich beleidigt?
Roland Koch: Der ganze Vorstoß von Kurt Beck ist nur innerparteilich zu verstehen. Das ist ein weiterer Versuch, in seiner Partei Truppen beisammenzuhalten, indem man ihnen Parolen zuruft, die in den eigenen Reihen Anklang finden sollen. Derzeit verlassen junge niedersächsische SPD-Funktionäre die Partei in Richtung Linkspartei. Es rächt sich immer mehr, dass die SPD nicht klar genug die Grenzen nach links gezogen hat. Es war die SPD, die an der Regierung Hartz IV mit Unterstützung der Union durchgesetzt hat. Wenn Herr Beck jetzt glaubt, diese beiden Parteien könnten einen Wettbewerb darüber veranstalten, wer mehr von sozialer Gerechtigkeit versteht, dann geht das an den Köpfen und Emotionen der meisten Menschen vorbei.
WELT: Ist die CDU eine neoliberale Partei?
Koch: Es ist ja inzwischen zum Schimpfwort mutiert, obwohl niemand so richtig zu wissen scheint, wer da eigentlich beschimpft wird. Die Freiburger Schule als Begründerin der sozialen Marktwirtschaft bezeichnete sich auch als „neoliberal“. Ich habe in der Sache kein Problem damit, mit Walter Eucken und Wilhelm Röpke in eine Schublade gesteckt zu werden. Aber Becks Vorwurf ist doch eher ein Ausdruck der Hilflosigkeit.
WELT: Aber wenn Kurt Beck beschreibt, die Leute seien entsetzt, wenn Firmen Riesengewinne machen und gleichzeitig Massenentlassungen stattfinden, dann trifft er damit doch eine Stimmung, die in der CDU auch von einem breiten Flügel um Jürgen Rüttgers empfunden wird.
Koch: Die CDU hat auf dem Dresdner Parteitag ihre Position deutlich gemacht. Wir wollen, dass Gewinne gemacht werden können. Die Gewinne in einer globalisierten Welt werden größer werden – und wir müssen darum kämpfen, dass wir als Deutsche genug davon bekommen, das ist unbestritten. Aber am Ende kommt es darauf an, relative Vollbeschäftigung zu erreichen.
Interessanter und bedrückend finde ich, dass Kurt Beck ein Staatsvertrauen zurückholt, das in der SPD vor 30, 40 Jahren vertreten wurde. Soziale Gerechtigkeit, der Versuch, allen Menschen in einem Land eine Chance zu geben – das ist zwischen CDU und SPD doch völlig unstrittig. Aber der Glaube, dass der Staat da immer der beste Anbieter ist, den teilen wir eben nicht.
WELT: Die SPD wird im nächsten Wahlkampf versuchen, Sie mit dem Gerechtigkeitsthema, beispielsweise Mindestlohn, vor sich herzutreiben. Wie werden Sie sich wehren?
Koch: Was die Sozialdemokraten in Bremen mit dieser Debatte angerichtet haben, ist, dass sie verantwortlich sind für ein historisches Hoch der Altkommunisten.
Herr Beck muss sich überlegen, ob der Ton, den er anschlägt, nicht ganz woanders Früchte trägt, als ihm lieb ist. Ich glaube, die Menschen sind ansprechbar dafür, dass Leistung sich wirtschaftlich auszahlt und dass man dafür bei der CDU einen Ansprechpartner findet.
WELT: Wo sind eigentlich – abgesehen von Lafontaine – noch die Unterschiede zwischen SPD und Linkspartei?
Koch: In der Linkspartei legen viele eine undifferenzierte Kapitalismuskritik an den Tag, die Sozialdemokraten, die die Bundesrepublik mit aufgebaut haben, abgeht. Da herrscht ja ein geradezu romantisches Verhältnis zum Staat. Aber ich sehe in Becks Vorstoß auch eine Renaissance der Staatsgläubigkeit.
WELT: Aber zwei Drittel der Deutschen teilen die Kritik an den G8 und die Idee von der „Gerechtigkeitslücke“.
Koch: Die große Koalition muss dieses Vertrauen zurückerobern. Eine größere Zahl von Menschen muss erfahren, dass Politik etwas verändern kann. Dieses Vertrauen ist in den letzten zehn Jahren kaputtgegangen. Ohne sichtbare Erfolge – sei es in der Wirtschaft, sei es beim Klima – kann man das nicht zurückgewinnen. Das ist keine Frage von Rhetorik. Da geht es um nachgefragte Leistung. Auch deshalb dürfen weder CDU noch SPD eine solche Koalition im Moment zur Disposition stellen. Im Übrigen können sich die Ergebnisse dieser Koalition bei aller Reduziertheit auf kleine Schritte durchaus sehen lassen.
WELT: Sehen Sie mit den Wahlen in Frankreich und Belgien eine Renaissance des europäischen Konservatismus aufziehen?
Koch: In Europa geht es natürlich auf und ab. Aber richtig ist, dass moderner, aufgeklärter Konservatismus in Europa eine Zukunft hat. Das ist nicht etwas von gestern.
Das Interview führte Mariam Lau.