Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit dem „stern“
Stern: Herr Koch, Sie sind ein Weichei geworden!
Koch: Hoppla. Da muss der stern seine Meinung über mich aber gründlich geändert haben.
Stern: Neuerdings sehen wir ständig Bilder von Roland Koch, der Babys schnullert und Kinder füttert. Was ist plötzlich mit den harten Hunden aus der CDU los?
Koch: Mir war Familienpolitik immer wichtig, das zieht sich wie ein roter Faden durch meine Politik. Die Patenschaft für Drillinge übernehme ich seit acht Jahren. Die CDU muss als konservative Partei Anwalt der Familie sein, die für uns die Keimzelle der Gesellschaft ist.
Stern: Aber Trauschein sollte noch sein, oder?
Koch: Natürlich. Aber wir behalten die Kinder im Auge, und die werden nicht nach den Lebensformen ihrer Eltern sortiert.
Stern: Die Ehe ist Ihnen nicht mehr heilig?
Koch: Ich will weiter eine Gesellschaft, in der sich möglichst viele Menschen ihr Leben lang aneinander binden; diese Gesellschaft ist nämlich glücklicher, zufriedener und stabiler. Das gehört zu meinem Familienbild.
Stern: Haben Sie Ihre Söhne früher selbst gewickelt, oder spricht hier nur der große Theoretiker?
Koch: Ich genieße es, Vater zu sein. Und selbstverständlich habe ich meine Kinder gewickelt und ihnen auch die Flasche gegeben.
Stern: Würde Roland Koch Elternzeit nehmen und seine Frau das Geld verdienen lassen?
Koch: Vor 20 Jahren war das für uns keine Frage. Heute würden wir das sicher lange diskutieren.
Stern: Geben Sie’s zu: Insgeheim leiden Sie unter der Bundesfamilienministerin.
Koch: Im Gegenteil! Ursula von der Leyen ist für die gesamte CDU ein riesiges Glück.
Stern: Sie macht aber alles andere – nur keine konservative Familienpolitik.
Koch: Falsch. Sie sorgt für mehr Familien. Was sie will, auch ganztägige Betreuung, steht seit Langem im CDU-Programm. Aber mit ihr an der Spitze wird es wirklich gelebt und auch wahrgenommen.
Stern: Hätten Sie gedacht, dass Ihnen Ursula von der Leyen mal näher ist als Bischof Mixa?
Koch: Dass es auch in der Bischofskonferenz Menschen gibt, die anderer Meinung sind als ich, beunruhigt mich nicht, solange sie eher die Ausnahme sind.
Stern: Elegant an der Frage vorbei geantwortet!
Koch: Wieso? Als Katholik freue ich mich darüber, dass der Vorsitzende der Bischofskonferenz deutlich gemacht hat, dass die Mitglieder des Episkopats anders denken als Bischof Mixa. Wir müssen helfen, dass Frauen und Männer die Freiheit bekommen, Eltern sein und einer Arbeit nachgehen zu können. Also müssen wir Wahlfreiheit bei der Kinderbetreuung schaffen.
Stern: Bitte? Für den anständigen Konservativen gilt doch: Frauen sollen sich um die drei Ks kümmern – Kinder, Küche, Kirche.
Koch: Sie pflegen Vorurteile. Das gilt für gute Konservative seit 30 Jahren nicht mehr, mindestens. Natürlich hat es eine tektonische Verschiebung unserer Sichtweise in der Familienpolitik gegeben. Es gibt Menschen, die nehmen das positiv auf, andere mögen auf den ersten Blick irritiert sein. Das ist für die CDU nicht einfach. Aber wir müssen diesen Schritt gehen, sonst werden immer mehr Familien kinderlos bleiben.
Stern: Woher die Einsicht?
Koch: Arbeiten werden die jungen, oft gut ausgebildeten Frauen auf jeden Fall. Die Frage ist, ob aus ihren Kinderwünschen auch Kinderwirklichkeit wird.
Stern: Roland Koch betätigt sich als Totengräber des Konservatismus.
Koch: Irrtum. Konservative sind klug genug, sich einer rasant ändernden Welt anzupassen – und trotzdem ihre Werte zu verteidigen. Wir reden immer noch über die Ehe und darüber, wie wichtig es ist, Kinder zu haben. Wir wissen aber, dass das Leben in der globalisierten Welt unter gleich gut ausgebildeten Ehepartnern ein Stück anders organisiert werden muss als früher.
Stern: Vielleicht haben Sie uns ja die ganze Zeit getäuscht: Sie sind gar kein Konservativer!
Koch: Vielleicht müssen Sie Ihr Zerrbild über Konservative korrigieren. Ich bin sogar ein ziemlich Konservativer, aber ich war immer ein konservativer Reformer. Das werde ich auch bleiben und nach pragmatischen Lösungen suchen.
Stern: Fühlen Sie sich als Konservativer wohl?
Koch: Pudelwohl, obwohl Konservative in den Medien und bei manchen Schlaumeiern nicht als zukunftsgewandt gelten. Dabei sind sie absolute Zukunftsmotoren. Nehmen wir Franz Josef Strauß, den lassen Sie wohl noch als konservativ durchgehen…
Stern: Aber hallo.
Koch: Strauß hat Bayern umgekrempelt und an die Spitze moderner Regionen gebracht, aber niemand hat ihm unterstellt, er verrate seine Werte. Dieses Selbstbewusstsein, das er vor 30 Jahren hatte, das dürfen doch auch die Konservativen heute haben.
Stern: Wie weit dürfen Konservative gehen? So weit wie der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger, der seinen Vorgänger, den früheren NS-Marinerichter Filbinger, zum Nazi-Gegner umdichtete?
Koch: Diese Debatte ist glücklicherweise beendet. Sie glauben doch nicht, dass ich sie wieder anfache.
Stern: Dass Oettinger sich von seiner eigenen Rede distanziert hat, haben einige Unionspolitiker als Niederlage der Konservativen begriffen.
Koch: Konservative müssen damit leben, dass gerade im Zusammenhang mit der deutschen Geschichte jeder Millimeter jedes Satzes aufs Schärfste untersucht wird. Die öffentliche Gelassenheit gegenüber der Lebenslüge des Linken Günter Grass kann da nur wundern. Dennoch ist es richtig, dazu zu reden, selbst mit dem Risiko, dass ein Punkt misslingt.
Stern: Uns drängt sich der Eindruck auf, dass Konservative sich in der Defensive fühlen.
Koch: Nein, Konservativen fällt es nur schwerer, bestimmte Debatten zu führen. Nehmen Sie den Paragrafen 218. Natürlich lehne ich persönlich Abtreibung ab. Aber ich akzeptiere die Gesetze, weil eine Gesellschaft nicht das Recht hat, die Seelenqualen einer Mutter zu ignorieren.
Stern: Wie hat der Vater Koch seine Söhne erzogen?
Koch: Gemeinsam mit meiner Frau. Und das überwiegend durch den ernsthaften und engagierten Versuch des Vorlebens. Hanna-Renate Laurien hat mal gesagt: „Wenn man oft genug gegen die Wand gelaufen ist, sucht man irgendwann die Tür. Das Türfinden nennen wir Kultur.“ Eltern haben die Aufgabe, jungen Menschen bei-
zubringen, dass das Suchen der Tür eine ziemlich vernünftige Sache ist.
Stern: Waren Sie streng?
Koch: Natürlich haben wir auch mit Geboten und Verboten gearbeitet. Aber ich glaube, dass Menschen nicht dauerhaft fröhlich und frei zusammenleben, wenn sie nicht von den Regeln überzeugt sind. Das tötet sonst jede Kreativität. Das ist in der Familie wie in der Gesellschaft insgesamt so.
Stern: Wir sind erstaunt…
Koch: …dann drucken Sie das Erstaunen auch …
Stern: … dass Roland Koch so ein Freigeist sein will!
Koch: Politiker müssen über die Regeln reden, die sie für richtig halten, aber sie sollten auch den Mut haben, nicht alles immer gleich in Gesetze gießen zu wollen. Ein freies Land lebt von Werten und Ethik weit über Gesetze hinaus.
Stern: Wie sieht Ihr Erziehungs-Wertekanon aus?
Koch: Für mich geht es um das Dreieck Respekt, Freiheit und Leistung. Da gibt es kein Oben und Unten. Diese Elemente haben unsere Anforderungen an unsere Kinder geprägt.
Stern: Das klingt sehr leistungsorientiert.
Koch: Nicht nur, aber auch. Ich erwarte, dass sie die Fähigkeit entwickeln, sich frei zu entscheiden – und davon auch Gebrauch machen. Ich erwarte, dass sie Respekt vor dem anderen haben, egal, welche Meinung, Hautfarbe oder Herkunft der andere hat. Und ich erwarte, dass sie wissen, dass sie in dieser Gesellschaft was leisten müssen.
Stern: Das hört sich an wie: Strammstehen …
Koch: Ich bitte Sie! Wichtig ist, dass sie das, was sie leisten können, auch einbringen müssen – und nicht mit verschränkten Armen zuschauen. Nicht in der Familie, nicht in der Gesellschaft.
Stern: Was würde passieren, wenn einer Ihrer Söhne abrutschen würde in eine links- oder rechtsextreme Gang? Inklusive Gewalt …
Koch: Sobald ich das merken würde, und ich hoffe, dass ich ein Vater bin, der das merken würde: reden, reden, reden und noch mal reden. Aber wenn ein erwachsener Mensch – meine Söhne sind jetzt junge Erwachsene – mit Gewalt sympathisieren würde, gäbe es eine Grenze, dann könnte das Ende der Toleranz und die Trennung kommen.
Stern: Trennung?
Koch: Natürlich würde ich das auch als ein großes Scheitern empfinden, weil dann ein Teil meines gelebten Vorbilds nicht funktioniert hätte. Und ich bete, dass ich diesen Konflikt zur Liebe zu meinen Kindern nie wirklich ertragen muss. Aber für mich gibt es bestimmte Grenzen, die man nicht überschreiten kann, ohne meinen entschiedenen Widerstand zu mobilisieren. Konservative zeichnen sich dadurch aus, dass der Rubikon klar beschrieben ist, wenn Gewalt anfängt und Toleranz aufhört.
Interview: Stefan Braun, Andreas Hoidn-Borchers
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