Ministerpräsident Roland Koch im Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“
Neue Osnabrücker Zeitung: Um den Klimaschutz wird gestritten. Wie groß soll und kann der Beitrag der Automobil-Industrie dabei sein?
Roland Koch: Wir wollen Klimaschutz, aber wir müssen aufpassen, dass das Automobil nicht zum Hauptsündenbock in der Klimadiskussion gemacht wird. Der Wärmemarkt und die Industrie sind wesentlich bedeutendere Emittenten als der Automobilsektor. Ich glaube, der Beitrag der Automobil-Industrie kann umso größer sein, je weniger wir mit Vorgaben die Innovationsfähigkeit der Ingenieure einschränken.
NOZ: Macht es Sinn, pauschale Grenzwerte für Autos in ganz Europa zu erlassen?
Koch: Wir sind ein gemeinsamer großer Markt, in dem für die Anbieter gleiche Regeln gelten müssen. Im Übrigen darf man die Exportabhängigkeit der Automobil-Industrie nicht aus dem Auge verlieren, ich wehre mich aber gegen den im Moment von EU-Umweltkommissar Dimas praktizierten Diktatismus. Außerdem müssen die Umweltbeiträge für jede Größenklasse von Autos getrennt festgelegt werden, sonst macht alles keinen Sinn und schadet besonders der deutschen Automobilindustrie.
NOZ: Die EU-Kommission dringt darauf, den Energieversorgern die Netze wegzunehmen. Werden Sie eine solche Zerschlagung der Konzerne unterstützen?
Koch: Ich bin ein Anhänger des Marktes, eines funktionierenden Marktes. Ich habe mich auch in Deutschland dafür eingesetzt, dass wir von den Energieversorgern im Staatsbesitz zu einer privatwirtschaftlichen Lösung kommen, muss aber jetzt feststellen, dass die bis heute gefundenen Lösungen keinen wirksamen Wettbewerb garantieren. Deshalb müssen wir unser Kartellrecht so ergänzen, wie es in den USA schon lange ist. Unternehmen, die Märkte zu sehr beherrschen, können zur Not auch entflochten werden, das heißt, sie müssen einen Teil ihrer Betriebe an andere verkaufen. Das muss nicht in jedem Fall so kommen, aber dies ist mir auf jeden Fall sympathischer, als eine Regulatorenlösung, die quasi auf dem Zuteilungswege operiert.
NOZ: Brüssel geht massiv gegen viele Wirtschaftsbereiche vor Energie, Auto, Telekommunikation. Ist das das Europa, das Sie sich vorstellen?
Koch: Das Europa, das wir uns vorstellen, war wirtschaftspolitisch ein Europa der Harmonisierung der Märkte: Freizügigkeit, freie Waren, Dienstleistungs- und Geldverkehr. Auf diesem Weg sind wir in den letzten 50 Jahren sehr weit gekommen. Wir müssen jetzt aber aufpassen, dass die zentralen europäischen Instanzen nicht anfangen, zu einem neuen Dirigismus bis hinein in die kleinsten Verästelungen vorzugehen. Das Europa, wie wir es auch im Verfassungsvertrag konstituieren wollen, ist ein Europa der Subsidiarität. Was in den Regionen in den Nationalstaaten geregelt werden kann, soll dort verbleiben, und Europa sollte sich meiner Ansicht nach stärker auf die strategischen Fragestellungen wie zum Beispiel der Energiesicherung und auch einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und die Vertretung Europas bei den allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen konzentrieren. Das Europa, das wir brauchen, ist ein Europa, das uns hilft, in einer globalisierten Welt als Europäer auch in Zukunft bestehen zu können, und nicht ein Europa, das uns durch zu viel Bürokratie hindert, den globalen Wettbewerb zu bestehen.
NOZ: Sie haben die FFH-Richtlinie gemeinsam mit allen Ministerpräsidenten kritisiert. Die Richtlinie gilt als Modell des Naturschutzes. Welche Erfahrungen haben Sie In der Praxis gemacht? Was wollen Sie geändert haben?
Koch: Die in den 80er Jahren entwickelte Idee, wichtige Naturräume unter Schutz zu stellen, um Flora und Fauna in ihrem Artenbestand zu sichern, ist ja vernünftig. Die Umsetzung hat aber gezeigt, dass es hier nicht mehr um Artenschutz, sondern um den Erhalt einzelner Tiere geht. In Hessen sind mittlerweile 20% der Landesfläche betroffen, dies schränkt uns natürlich bei wichtigen Verkehrsinfrastrukturmaftnahmen wesentlich ein. Die Ausgestaltung der Richtlinie, aber auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und die Erfahrung, die wir in den letzten Jahren in der Praxis gemacht haben, führt mich dazu zu sagen: Wir müssen zu einem anderen, vernünftigen Verfahren kommen, zum Beispiel gehört auch dazu, dass die FFH und die Vogelschutzrichtlinie zusammen betrachtet werden. Wir müssen dazu kommen, dass Naturschutz so ausgestaltet ist, dass bei dessen Umsetzung noch genügend Raum für die Realisierbarkeit größerer Verkehrs- bzw. Infrastrukturprojekte bleibt.
NOZ: Europa ringt um seine Verfassung. Was versprechen Sie sich als Ministerpräsident eines Bundeslandes von der europäischen Verfassung?
Koch: Wir sind heute ein Europa von 27 Mitgliedern. Die Schwerfälligkeit des Apparates in den Abstimmungen ist uns allen bewusst. Wir müssen dazu kommen, dass wir die im Verfassungsvertrag vorgesehenen Entschlackungen im Abstimmungsverfahren hinbekommen, aber, und das ist mir als Vertreter eines Landes besonders wichtig, dass auch dem Subsidiaritätsprinzip Geltung verschafft wird. Ich bin schon der Überzeugung, dass Europa dieses konstitutive Vertragswerk in seinen wesentlichen Elementen braucht, wirkönnten nicht weiter mit den bisherigen Lösungen arbeiten, die nie auf ein Europa von jetzt 27 Mitgliedern ausgelegt waren. Für mich steht im Vordergrund, dass wir endlich in diesem Prozess weiterkommen, nicht nochmal zurückfallen in einen Verfassungskonvent, sondern wir ausloten, welche Elemente des ausgehandelten Verfassungsvertrages zustimmungsfähig sind. Die Qualität wird sich nicht am Namen festmachen, sondern daran, wie die Bürger letztlich dieses Europa leben.
Das Interview führte Detlev Drewes.
Bildung
// Energie
// Finanzen
// Flughafen Frankfurt
// GM
// Interview
// Opel
// Schule
// Steuerpolitik
// Wirtschaft