Grußwort des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch
zur Verleihung des Hessischen Friedenspreises 2006 an Daniel Barenboim
(Festakt am 1. Februar 2007 im Musiksaal des Hessischen Landtags)
Es ist für uns alle in Hessen eine große Ehre, dass Sie, Herr Barenboim, heute hier den Hessischen Friedenspreis entgegennehmen. Und es gibt mir auch Anlass, Albert Osswald, einem meiner Vorgänger im Amt des Hessischen Ministerpräsidenten, und seiner Familie dafür zu danken, mit ihrer Initiative und Stiftung die Kontinuität einer solchen Preisverleihung auf Dauer für unser Land ermöglicht zu haben.
Die Verleihung des Friedenspreises findet heute während einer Sitzung des Hessischen Landtags statt – aus meiner Sicht der friedlichste Grund, den je eine außerordentliche Sitzungsunterbrechung in der langen Geschichte des Parlaments gehabt hat. Dieser zeitliche Zusammenhang zeigt uns, dass die heutige Ehrung eines der sicherlich erfolgreichsten und begabtesten Musiker der Welt eben auch in einen politischen Kontext eingebettet ist. Schließlich sind es Repräsentanten und Entscheider aus Politik und Wissenschaft, die als Jury diese Ehrung möglich machen. Sie wollen damit immer auch ein Zeichen setzen – ein Zeichen für die Bürger und die Politik unseres Landes –, dass uns sehr viel mehr interessiert als nur das, was in unserem unmittelbaren Umfeld vor sich geht.
Wir sind als Hessen und als Deutsche heute in der glücklichen Lage, in einem friedlichen Europa zu leben. Unsere Kinder und Enkel können diesen Frieden beinahe schon als eine Garantie in ihre Lebensplanung aufnehmen. Wir wissen zwar aus den Erlebnissen der letzten Jahre und Jahrzehnte im Südosten Europas, dass dies keineswegs so selbstverständlich ist, wie es sich in Wiesbaden anhört und anfühlt; und doch leben wir mit der großen Gewissheit, dass wir hierzulande aller Wahrscheinlichkeit nach von den unmittelbaren Folgen von Krieg in dieser und der folgenden Generation nicht betroffen sein werden.
Aber wir leben auch in einem Land, auf dem die Last der Geschichte liegt. Die ältere Generation hierzulande, wie auch bei unseren Nachbarn und heutigen Freunden, weiß von den Schrecken und der Destruktivität des Krieges, von Hass und Auseinandersetzung. Und diese beiden Dinge – einerseits das Wissen um die Geschichte und andererseits die Gewissheit, heute in einer günstigeren Situation zu sein – sind Herausforderung dafür, dass wir uns immer wieder neu mit dem Thema Frieden auseinandersetzen und dass wir uns auch darüber unterhalten, was andernorts passiert, und einen Versuch unternehmen, mit unseren bescheidenen Mitteln zu mehr Frieden in der Welt beizutragen.
Wir in Deutschland haben eine besondere historische Verpflichtung zur Loyalität und Unterstützung gegenüber dem Staat Israel – in gleichem Maße wie gegenüber den Mitgliedern der, Gott sei Dank, in Deutschland und in unserer Region wieder wachsenden jüdischen Gemeinden. Der fortdauernde Nahost-Konflikt ist deshalb auch für uns ein Grund zur Sorge. Aber wir wissen, dass wir, wenn wir zum Abbau von Konflikten beitragen wollen, beide Seiten jedes Konfliktes hören und verstehen müssen. Historische Verpflichtung und Loyalität allein ändern nichts daran, dass wir einen Weg finden müssen, wie heutige Generationen von Konfliktparteien wieder zusammenfinden können.
Darin sehen wir durchaus die Beschränktheit von Politik. Es gibt kein politisches Gremium und keinen Ort auf dieser Welt, an dem man internationale Konflikte diskutiert, ohne nicht den israelisch-palästinensischen Konflikt als einen derjenigen zu nennen, die als Legitimationskulisse für viele andere Konflikte und nicht bereinigte Auseinandersetzungen in ihrem näheren und fernen Umfeld dienen. Wir wissen, welche unterschiedlichen Formen von politischen und militärischen Initiativen es bereits zur Lösung dieses Konfliktes gab; und wir wissen, wie es dort heute aussieht. Deshalb ist es unverzichtbar, dass Menschen in eigener Initiative immer wieder den Versuch unternehmen, auf Herzen und Köpfe der Betroffenen zuzugehen, ohne dabei den Rahmenbedingungen von Politik unmittelbar zu unterliegen. Denn eines ist eben immer gleich – egal, ob wir uns auf kommunaler, regionaler, nationaler oder internationaler Ebene bewegen: Jeder, der als Politiker spricht, verfügt stets über eine bestimmte Legitimation. Diese Legitimation ist mit dem politischen Interesse derer verbunden, die er vertritt. Das gilt für denjenigen, der im Auftrag des israelischen Volkes handelt ebenso wie für denjenigen, der von den Palästinensern gewählt worden ist. Beide erhalten ihre Legitimation durch ihre Aufgabe, die Interessen ihres Volkes zu vertreten. Das weiß natürlich der jeweils andere oder er unterstellt es seinem Gegenüber. Hier auf politischem Weg eine Verbindung herzustellen fällt oft schwerer als ohne Legitimation auszukommen und andere Sphären zu nutzen.
Darin liegt auch für die Musik eine große Chance. Zugleich ist es eine schwere Last, die wir jemandem wie unserem heutigen Preisträger aufbürden. Denn wir geben ja zu, dass wir ihm für etwas dankbar sind, das wir als Politiker offensichtlich selbst nicht leisten können. Durch den Friedenspreis zeigen wir eben auch: Wir sind darauf angewiesen, dass andere die Courage haben – ohne formal dafür zuständig zu sein – für gegenseitiges Verständnis und Frieden einzutreten. Dass dies nicht selbstverständlich ist, dass dies manche Missverständnisse und Fragen auslöst, dass dies nicht nur Zustimmung, sondern auch manche Anfeindung mit sich bringen kann – das haben Sie, verehrter Herr Barenboim, mehr als einmal erlebt auf Ihrem Weg. Aber die Definition von Mut ist eben auch, mit solchen Erfahrungen fertig zu werden und trotzdem zu handeln. Das ist die Grundlage dafür, auch einmal Danke zu sagen und ein Stück dazu beizutragen, dass dieser Weg auch Anerkennung bei anderen findet. Der Hessische Friedenspreis versucht in seiner Tradition eben genau diejenigen als Preisträger zu ehren, die jenseits all dieser formalen politischen Strukturen ein Stück des Weges mitebnen, auf dem sich die Köpfe und Herzen der Menschen ein Stück näher kommen, auch wenn die Gräben zwischen ihnen tief sind. Wir wünschen uns nichts sehnlicher, als dass dies auch im Nahen Osten möglich ist. Wir wissen, dass wir dafür Geduld brauchen, aber man darf Geduld nicht überstrapazieren. Deshalb dürfen wir auch ungeduldig sein.
Ich habe gelesen, dass Sie einmal gesagt haben: „Politik und Musik haben etwas gemeinsam. Für beide ist das Tempo – das richtige Tempo zur richtigen Zeit – unglaublich wichtig.“ Wahrscheinlich ist es das, was uns an dieser Stelle auch gemeinsam umtreibt. Und deshalb freue ich mich, dass Sie heute hier sind, um diesen Preis zu erhalten. Sie können davon ausgehen: Wir verfolgen das, was Sie tun, mit großer Sympathie und Hoffnung, ja manchmal sogar mit einer gewissen Erwartung, dass es wenigstens auf diese Weise – mit den Mitteln der Musik, die so unbestritten verbindend ist in der Welt – möglich wird, einige Brücken zu bauen, die wir brauchen, um über tiefe Gräben zu kommen.
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