Ministerpräsident Roland Koch über den Dresdener Parteitag, über Alternativen zur Großen Koalition und über die Personaldebatte in der hessischen SPD
Interview mit der „Frankfurter Rundschau“
Frankfurter Rundschau: Herr Koch, woran fehlt es der CDU-Spitze derzeit?
Roland Koch: An der Chance, ungestört von Sozialdemokraten regieren zu können. Aber das sind im Augenblick Träume.
FR: Wir haben den Eindruck, in der CDU-Spitze fehlt es an Vertrauen, wenn man die Ergebnisse der Vorstandswahlen von Dresden anschaut. Sie sind mit mageren 68,2 Prozent zum Parteivize gewählt worden.
Koch: Ich bin lange genug in der CDU, um sehr froh über dieses Wahlergebnis zu sein. Der Parteitag hat kluge Entscheidungen getroffen, zum Beispiel Angela Merkel gestärkt. Und er hat denen, die uns von außen beobachten, einiges aus der Hand geschlagen – zum Beispiel die Kronprinzendebatten. Die gab es immer nur in den Zeitungen. Jetzt gibt es sie auch in den Zeitungen nicht mehr, und darüber werden Kommentare geschrieben. Das ist doch nicht schlecht.
FR: Vor einem Jahr haben Sie gesagt, große Reformen seien in der großen Koalition „völlig ausgeschlossen“. Hatten Sie Recht?
Koch: Ja. Die Einschätzung von Angela Merkel, dass eine große Koalition nur durch kleine Schritte erfolgreich sein kann, war richtig. Der einzige Punkt, an dem wir uns – auch ich mich – geirrt haben, war die Frage, wie weit wir mit den Sozialdemokraten in der Gesundheitsreform kommen können. Da sind wir einen noch kleineren Schritt vorangekommen, als ich nach den persönlichen Gesprächen der engeren Koalitionsverhandlungsrunde geglaubt habe.
FR: Ist auch die Unternehmensteuerreform, die Sie persönlich mit ausgehandelt haben, nur ein Reformschrittchen?
Koch: Die Unternehmensteuerreform ist ein wichtiger Schritt, auf den ich persönlich durchaus stolz bin. Er zeigt, dass wir in der großen Koalition handlungsfähig sind. Es gibt Dinge, die gehen in dieser Koalition in die richtige Richtung. Aber wenn ich mit einem CDU-Wähler spreche, dann erwartet der von seiner Partei Ambitionierteres – zu Recht.
FR: Das bekommt er aber nicht.
Koch: Deswegen werden wir im nächsten Wahlkampf sehr deutlich machen, was in diesem Land nötig ist über das hinaus, was in einer großen Koalition geleistet werden kann. Es geht um die Prinzipien, die wir uns in Leipzig 2003 vorgenommen haben: mehr Eigenverantwortung, mehr Flexibilität in unserer Gesellschaft in den Kernbereichen Arbeitsmarkt, Steuerrecht und Gesundheitspolitik.
FR: Und da ist die große Koalition zu weich?
Koch: Die Sozialdemokraten in der großen Koalition glauben zu wenig an Eigenverantwortung.
FR: Bedeutet das, dass die Union nur alleine oder mit der FDP regieren sollte? Oder gibt es andere denkbare Konstellationen, etwa ein Jamaika-Bündnis mit den Grünen?
Koch: Ich glaube, dass die Union ganz fest im Auge haben muss, so stark zu werden, dass sie nur einen Partner braucht. CDU und CSU können 40 Prozent und mehr über ganz Deutschland erreichen. Wir sind derzeit in den Ländern so gut aufgestellt, dass das kein überambitioniertes Ziel ist. Dann muss nicht über Dreierbündnisse spekuliert werden. Dann kann die Union den Partner so wählen, dass die größte programmatische Übereinstimmung besteht.
FR: Können das auch Grüne sein?
Koch: Die Grünen müssen sich noch ein ganzes Stück bewegen, bevor sie auf Bundesebene für uns koalitionsfähig werden. Richtig ist aber auch, dass sie sich beträchtlich bewegt haben. Dabei geht es weniger um einzelne Sachthemen als um ihre Gesamteinstellung zur Politik und zu politischen Prozessen.
FR: Überrascht es Sie, dass es diese Annäherung ausgerechnet in Roland Kochs Hessen, ausgerechnet in Joschka Fischers Frankfurt gibt?
Koch: Es ist richtig, dass es eine verfestigte Zusammenarbeit zwischen CDU und Grünen in einer Reihe großer hessischer Städte und Kreise gibt. Das ist die eine Seite der Grünen. Sie können pragmatisch Probleme lösen. Auf Bundes- und Landesebene gibt es jedoch fundamentale Unterschiede. Nehmen Sie die Wirtschaftspolitik, die Energiepolitik, die Verkehrsinfrastruktur, die Frage, wie sehr Menschen gegängelt werden in ihrem Verhalten. All das ist gewichtig. Es wird oberhalb der Kommunalpolitik noch eine Reihe von Jahren dauern, bis man an eine Koalition denken kann.
FR: Das heißt, Sie rechnen fest mit einem rot-grünen Block bei der hessischen Landtagswahl 2008?
Koch: Ja, sicher. Das wird ein Markenzeichen dieser Wahl werden: Sie kann nicht unklar werden.
FR: Wo ist Ihr eigenes Projekt, mit dem Sie in den Wahlkampf ziehen?
Koch: Eine der grundsätzlichen Fragen ist, ob wir eine erfolgreiche Entwicklung abbrechen oder unsere Projekte fortsetzen.
FR: Das hat Helmut Kohl auch gesagt in seinem letzten Wahlkampf. Dann wurde er abgewählt.
Koch: In Hessen stellen sich ganz grundsätzliche Fragen. Es gibt Linke, die wollen, dass die Wissenschaft sich wieder einigelt und nicht mit der Industrie zusammenarbeitet. Es gibt in der Ypsilanti-SPD, gerade wenn sie sich mit den Al-Wasir-Grünen zusammentut …
FR: … Sie meinen die SPD-Spitzenkandidatin und den Fraktionschef der Grünen im Landtag …
Koch: …massive Widerstände gegen den Ausbau unserer Flughäfen, gegen die Fortentwicklung der Verkehrsinfrastruktur generell. Wir werden auch die Debatte führen, ob wir in Biblis zwei Kernkraftwerke weiterlaufen lassen, die seit vielen Jahren auf einer sicheren Basis günstigen Strom produzieren, oder ob wir 1700 Windräder an hessischen Autobahnen bauen, wie Frau Ypsilanti das fordert.
FR: Die SPD hat sehr lebendig über die Nominierung ihrer Spitzenfrau Andrea Ypsilanti gestritten. Wünschen Sie sich in der hessischen CDU eine solche Lebendigkeit?
Koch: Alle Parteien neigen zur größten Lebendigkeit, wenn es um Personalfragen geht und nicht so sehr, wenn es um das Ringen um Sachfragen geht. Die hessische CDU steht nicht schlecht da in ihrer Diskussionsfreude in inhaltlichen Fragen. Wir tragen nicht alles auf dem offenen Markt aus, aber ich habe ganz sicher nichts gegen offene inhaltliche Diskussionen, wie wir sie gerade auf unserem Zukunftskongress hatten.
FR: Also doch ein bisschen Neid auf die SPD?
Koch: Die Sozialdemokraten haben eine streitige Personaldebatte geführt. Ob sie sich einen Gefallen damit getan haben, die Basis in allen Unterbezirken abstimmen zu lassen, um dann auf dem Parteitag zu beschließen, dass die Basis falsch liegt, ist eine der Fragen, die mit dem Thema Parteienverdrossenheit zu tun haben. Darauf sind wir ganz sicher nicht neidisch.
FR: Sie meinen, die hessische SPD habe Parteienverdrossenheit geschürt, weil sie nicht Fraktionschef Jürgen Walter, sondern Parteichefin Ypsilanti zur Spitzenkandidatin gemacht hat?
Koch: Ich glaube, dass die Parteimitglieder der SPD in Hessen, um es mit den Worten von Hans Eichel zu sagen, erheblichen Nachfrage- und Erklärungsbedarf haben. Sie sind alle eingeladen worden und haben eine relativ klare Entscheidung getroffen in den Verbänden – und der Parteitag hält das Gegenteil für richtig. Das ist ein Verfahren, das Menschen verwirren muss.
FR: Die SPD verspricht, die Studiengebühren zurückzunehmen. Sie will die Einschnitte der „Operation sichere Zukunft“ rückgängig machen. Sie will die Schulen besser mit Lehrern ausstatten. Warum sollte jemand trotzdem Roland Kochs CDU wählen?
Koch: Die Bürger haben ein sicheres Gefühl dafür, wer Verlässlichkeit zusichern kann und wer einfach vor einer Wahl schöne Wolken schiebt und hinterher nicht lieferfähig ist. Wir haben das, was wir in unseren Programmen zugesagt haben, in der anschließenden Regierungszeit verwirklicht. Auch wenn wir auf Widerstände gestoßen sind.
FR: Sie mögen den Menschen verlässlich erscheinen, aber auch als kalt und als jemand, der der Macht zuliebe mal fünfe gerade sein lässt. Haben Sie ein Imageproblem?
Koch: Da müssen Sie alle anderen außer mir fragen.
FR: Ist es kein Problem, anerkannt, aber nicht geliebt zu sein?
Koch: Wenn es nur um die Liebe ginge, wäre ich möglicherweise nie in ein Amt gekommen. Ich glaube nicht, dass dies das Kriterium war, mich 1999 überraschend zu wählen oder mich 2003 mit einer absoluten Mehrheit auszustatten. Das Leistungsprofil dieser Regierung und sicher auch mein Leistungsprofil haben Menschen in diesem Land dazu gebracht, der CDU so viele Stimmen zu geben, wie das historisch noch nie der Fall war. Das kann ich nicht als Misstrauensbeweis ansehen. Das macht mich aber nicht unsensibel für Versuche, mich mit negativen Kampagnen aus dem Amt zu drängen.
FR: Im Zusammenhang mit den Vorwürfen der Freien Wähler, Sie hätten sie mit Geld von der Wahlteilnahme abhalten wollen, hat ein Boulevardblatt getitelt: „Lügt Roland Koch?“ Sind Sie an diesem Punkt angreifbarer als andere Politiker?
Koch: Ich verhehle nicht, dass ich gelegentlich meine Probleme damit habe, wie verantwortlich Zeitungen mit solchen Begriffen und Überschriften umgehen. Ich weiß auch, dass das schwere Erbe, das man mir im Zusammenhang mit der CDU-Parteienfinanzierung 1999 und 2000 eingebrockt hat und dessen Bewältigung für mich schwer war, immer zu meiner Biografie dazugehört. Deshalb werden meine politischen Gegner immer wieder versuchen, statt über die Sache mit mir zu streiten, auf meine Person zu zielen. Der Bürger geht damit völlig anders um. Er fragt: Hält der, was er verspricht? Kann er etwas erfolgreich durchsetzen? Vertritt er Hessens Interessen erfolgreich? Und die Antwort auf diese Frage war bei den letzten Wahlen immer sehr eindeutig.
FR: Stellen Sie sich 2008 für eine ganze Legislaturperiode zur Wahl? Oder müssen die Menschen damit rechnen, dass Sie auf halber Strecke nach Berlin gehen?
Koch: Das ist ein beliebter Dauerlutscher. Ich trete an, eine weitere Legislaturperiode hart zu arbeiten. Beim letzten Mal haben die Journalisten es in Zweifel gezogen. Ich empfehle Ihnen auch dieses Mal, es ernst zu nehmen.
FR: Aber es war knapp, dass es nicht zum Wechsel nach Berlin kam.
Koch: Es war nie knapp, denn es war immer meine Entscheidung. Wenn ich wollte, könnte ich heute in Berlin sein.
Das Interview führten Richard Meng und Pitt von Bebenburg