Ministerpräsident Koch im Interview mit der Berliner Zeitung
BZ: Herr Koch, Sie sind seit Montag stellvertretender CDU-Vorsitzender. Werden Sie künftig widerspenstiger oder loyaler?
Koch: Meine Rolle verändert sich nicht. Ich habe jetzt eine Parteifunktion in unserer Bundespartei. Aber der Einfluss hängt nicht wesentlich an so etwas. Ich werde so loyal und engagiert mitarbeiten wie in den letzten Jahren.
BZ: Sie haben beim Wahlergebnis ihren niedersächsischen Kollegen Christian Wulff überrundet. Bedeutet das, dass Sie jetzt Angela Merkels Kronprinz sind?
Koch: Die Kronprinzen-Debatte macht keinen Sinn. Der Parteitag hat gezeigt, dass Angela Merkel die klare Nummer Eins in der CDU ist.
BZ: Christian Wulff hat gesagt: Ich will nicht Kanzler werden. Wie sieht das bei Ihnen aus?
Koch: Ich denke, dazu habe ich alles gesagt.
BZ: Wulff behauptet auch, ihm fehle der letzte Wille zur Macht. Glauben Sie das?
Koch: Ich habe keine Lust, mich an solchen Diskussionen zu beteiligen.
BZ: Wie beschreiben Sie Ihre Funktion in der Partei?
Koch: Durch die absolute Mehrheit der CDU in Hessen bin ich nicht gezwungen, auf andere politische Strömungen Rücksicht zu nehmen. Ich kann offen formulieren, was CDU pur ist und kann ganz pragmatisch CDU-Politik umsetzen.
BZ: In den letzten Monaten, in denen die CDU heftig darum gestritten hat, was CDU pur ist, waren Sie aber eher ruhig.
Koch: Dauernd über CDU pur zu reden und damit den Eindruck der Sabotage der Koalition zu erwecken, ist genauso gefährlich für die Partei, wie wenn alle sich nur noch in den Grenzen der Koalition bewegen.
BZ: Die Umfragewerte der CDU sind schlecht, die Mitgliederzahlen sinken. Glauben Sie, Ihre Anhänger wissen noch, für was die CDU steht?
Koch: Die Umfragen bessern sich. Dennoch: Wir sind in einer schwierigen Zwischenphase, von der man sich nicht nervös machen lassen darf. Die Kooperation der politischen Antipoden SPD und Union bedeutet, dass die Kompromisse von den Programmen beider Parteien weit entfernt sind. Das kann nur gerechtfertigt werden mit Erfolg. Im nächsten Jahr wird es Deutschland wirtschaftlich besser gehen als vorher. Auf dem Arbeitsmarkt tut sich Erfreuliches, die Haushaltslage bessert sich spürbar. Das wird viele unserer Anhänger versöhnen.
BZ: Bereits das CDU-Ergebnis bei der Bundestagswahl war schlecht. Das können Sie schlecht auf Kompromisse mit der SPD schieben.
Koch: Die Gründe für das Wahlergebnis sind klar: Die CDU hat den Bürgern die Ankündigung zugemutet, dass sie mehr Eigenverantwortung und also mehr Risiko übernehmen sollen. Das Vertrauen in die Politik war aber so gering, dass ein Großteil der Bevölkerung lieber auf diese Risikoübernahme verzichten wollte. Wir müssen also durch Leistung das Vertrauen der Bürger wieder erhöhen. Von unserem Programm Abschied zu nehmen, wäre der falsche Weg. Wir müssen den Reformkurs halten – auch wenn es nur in kleinen Schritten vorwärts geht.
BZ: Haben Sie den Eindruck, dass das die breite Meinung ist in der CDU? Auf dem Parteitag hat es heftige Debatten gegeben über den Kurs.
Koch: Die Botschaft des Parteitags war klar: Es gibt keine Richtungsdebatte. Die Partei will sie nicht.
BZ: Haben wir etwas falsch verstanden? Der Sozialflügel hat einen riesigen Streit vom Zaun gebrochen und gefordert, dass die CDU mehr auf die Ängste der Menschen eingehen müsse.
Koch: Es gibt keinen Richtungsstreit, sondern einen Streit um Darstellungsweisen. Wir wollen bei der nächsten Wahl natürlich deutlich mehr als 35 Prozent erreichen. Aber wir sollten mit Blick auf Umfragen nicht unsere inhaltlichen Überzeugungen in Frage stellen. Wir sollten lieber daran arbeiten, unsere Ziele besser zu vermitteln.
BZ: Einige in ihrer Partei fordern eine Generalüberholung der Arbeitsmarktreform Hartz IV. Braucht es eine solche Revision?
Koch: Es gibt eine Menge Punkte, die man verbessern könnte. In der Koalition müssen wir uns aber auch hier mit kleinen Schritten begnügen. Eine Generalrevision ist nicht erreichbar.
BZ: Wo würden Sie ansetzen?
Koch: Wir müssen die Regelsätze in Bedarfsgemeinschaften anders staffeln oder schärfere Sanktionen einführen, wenn Leute eine angebotene Arbeit nicht annehmen. Bislang ist es doch so, dass es einem wirtschaftlichen Fehler gleichkommt, als Arbeitsloser einen durchschnittlichen deutschen Tariflohn anzunehmen. Für die Mutter oder den Vater einer Familie mit zwei Kindern lohnt es sich kaum, das Transfersystem zu verlassen und einen Job als Verkäufer anzunehmen, selbst wenn der mit zehn Euro die Stunde bezahlt wird.
BZ: Union und SPD diskutieren jetzt über das Thema Investivlohn, also die Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmenserfolg. Was bezwecken Sie damit?
Koch: Wir müssen deutsche Firmen mit heimischem Eigenkapital versorgen, da das Geld sonst aus dem Ausland kommt. Es gibt zur Zeit zu wenig Geld, das loyal zu unserem Land steht und sich auch an Fragen wie der Sicherung von Arbeitsplätzen orientiert. Das ist ein großer strategischer Nachteil Deutschlands. Wenn ich mir ansehe, was amerikanische Pensionsfonds heute weltweit an Kapital bewegen – wir in Deutschland leiden durchaus darunter, dass wir dem nichts entgegenzusetzen haben.
BZ: Was schwebt Ihnen genau vor?
Koch: Ein wichtiges Element ist die nachgelagerte Besteuerung solcher Vermögenswerte. Dann die Zweckfrage: Es wird um Altersvorsorge gehen, aber sicher nicht nur darum. Klar ist: Die Beteiligung am Investivkapital wird nicht völlig risikofrei sein, denn es gibt keine hundertprozentig versicherten Anteile am Produktivvermögen.
BZ: Soll der Investivlohn ein Bestandteil des Lohns sein oder eine zusätzliche Prämie?
Koch: Das ist eine Entscheidung der Tarifparteien. Es wird auf keinen Fall eine Zwangsbeteiligung sein. Der Mitarbeiter muss entscheiden können, ob er sich am Produktivvermögen beteiligen oder gleich sein Geld erhalten will. Es kann ja niemand verpflichtet werden, Miteigentümer eines Unternehmens zu werden. Für die Politik wird es um rechtliche Fragen gehen, etwa darum, ob sich die Gelder verschiedener Arbeitgeber auch in einem Fonds zusammenführen lassen, um dadurch das Insolvenzrisiko ausgleichen zu können. Um es gleich zu sagen: Ich bin nicht dafür, neue steuerliche Privilegien zu schaffen. Einer, der sein Geld zur Bank trägt, darf steuerlich nicht schlechter dastehen als einer, der es in sein Unternehmen investiert.
BZ: Gehen Sie davon aus, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften mitziehen?
Koch: Der Investivlohn ist jahrelang von einer Allianz von Unternehmern und Gewerkschaften verhindert worden. Aber ich glaube, die Erkenntnis reift, dass diese Blockade mehr schadet als nützt. Die Arbeitgeber befürchten zwar, dass die Arbeitnehmer auch mehr Mitbestimmung wollen – aber bevor der Chef eines Hedgefonds einem Ratschläge gibt, sollte man vielleicht doch lieber den als Partner wählen, der das Geld der eigenen Arbeitnehmer verwaltet. Die Gewerkschaften haben die Sorge, dass die Arbeitnehmer plötzlich wie Unternehmer denken und Lohnverhandlungen ganz anders verlaufen – aber das kann Arbeitsplätze erhalten.
Das Interview führten Rouven Schellenberger und Daniela Vates.
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