Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille
Rede des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch anlässlich des Festaktes zum 60. Landesjubiläum und der Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille
Sehr geehrter Herr Bundespräsident,
Sehr geehrter Herr Landtagspräsident,
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde aus dem In- und Ausland!
Haben Sie vielen Dank dafür, dass Sie heute so zahlreich hier erschienen sind, um mit uns den Festakt zum 60-jährigen Bestehen unseres Landes Hessen zu feiern. An diejenigen unterIhnen, die wie unsere Landesverfassung am 1. Dezember 1946 das Licht der Welt erblickthaben: Herzlichen Glückwunsch zum 60. Geburtstag!
Bei uns Menschen ist ein runder Geburtstag, zumal der sechzigste, immer ein willkommener Anlass, dass endlich wieder einmal alle unter einem Dach zusammen kommen: die Verwandtschaft, Nachbarn, Freunde aus nah und fern, langjährige Wegbegleiter.
Wenn ein ganzes Bundesland runden Geburtstag feiert, dann gestaltet sich die Unterbringung aller unter einem Dach vielleicht etwas schwieriger. Deshalb haben wir seit über einem Jahr mit einer Vielzahl von Veranstaltungen im ganzen Land an die historischen Ereignisse erinnert, die sich vor 60 Jahren in einem Zeitraum von 15 Monaten zugetragen haben:zwischen der Proklamation Hessens durch die amerikanische Militärverwaltung am 19. September 1945 und der Annahme der Verfassung durch die Bevölkerung einschließlich der ersten Landtagswahl an jenem 1. Dezember 1946.
Der heutige Festakt bildet also den Höhepunkt und zugleich den feierlichen Abschluss des Jubiläums, und ich freue mich, dass so viele geschätzte Freunde, Nachbarn, Angehörige und Wegbegleiter Hessens daran teilhaben.
Ich freue mich, die beiden früheren Hessischen Ministerpräsidenten Walter Wallmann und Hans Eichel heute hier begrüßen zu können. Unsere Gedanken sind aber auch bei unserem Amtskollegen, Ministerpräsident Holger Börner, der im Sommer dieses Jahres verstorben ist. Ich begrüße außerdem die Söhne des langjährigen Hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn und ihre Familien. Ganz besonders heiße ich die Familie Leuschner willkommen und mit ihr die anwesenden Trägerinnen und Träger der Wilhelm-Leuschner-Medaille, wie auch die heute auszuzeichnenden Persönlichkeiten: Luca Giacomo Bortoli, Professor Dr. Hans Joachim Langmann, Rudolf Müller und Weihbischof Gerhard Pieschl.
Ein runder Geburtstag, an dem alle wieder einmal zusammenkommen, ist zugleich Bilanz und Ausblick. Für uns Hessen ist dieser Tag in jeder Hinsicht ein Anlass zur Freude. Deshalb haben wir die Geburtstagsfeiern der letzten 15 Monate ja unter den Titel „60 stolze Jahre“ gestellt. Ob es um die ökonomischen Daten geht, ob es um die Internationalität geht, wenn es um die Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger geht: Die Hessen sind immer vorn. Natürlich kann man im Wettbewerb der letzten 60 Jahre unter den deutschen Ländern, den es glücklicherweise gibt, nicht immer Sieger sein. Aber wenn man die durchschnittliche Entwicklung über ein halbes Jahrzehnt, ein ganzes Jahrzehnt, oder gar die Entwicklung der ganzen 60 Jahre betrachtet, so kann es keinen Zweifel geben, die Menschen in unserem Land haben aus Hessen das erfolgreichste Bundesland der jungen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gemacht. Deshalb, sehr geehrter Herr Bundespräsident, sind wir auch so stolz darauf, dass Sie sich entschieden haben, zu unserer Geburtstagsfeier heute hier nach Wiesbaden zu kommen.
Es gehört seit 42 Jahren zur Tradition dieses Landes, dass am 1. Dezember, dem Hessischen Verfassungstag, die höchste Auszeichnung verliehen wird, die unser Land zu vergeben hat. Ministerpräsident Zinn war es, der die Medaille im Jahr 1964 – 20 Jahre nach der Hinrichtung des früheren hessischen Innenministers, Gewerkschafters und Widerstandskämpfers Wilhelm Leuschner – stiftete. Zinn wählte bewusst diesen 1. Dezember als Tag der Verleihung. Denn der Tag, an dem unsere Landesverfassung in freier Abstimmung durch das Volk angenommen wurde, ist zuallererst ein Tag der Freude. Vor 60 Jahren markierte dieses Ereignis den Aufbruch in eine neue Zukunft. Es war die erste demokratisch legitimierte Landesverfassung Deutschlands nach 12 Jahren nationalsozialistischer Herrschaft.
Es gibt in einem Staat kein ausdrucksstärkeres politisches Dokument als eine Verfassung. Die Verfassung bildet das tragende Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Auf ihr ruht das Funktionieren unseres politischen Systems und letztlich der Bestand unserer Demokratie. Die Deutschen haben dies in ihrer Geschichte bereits einmal schmerzvoll mit dem Niedergang der Weimarer Republik erleben müssen. Heute, nach 60 Jahren Hessischer Landesverfassung, können wir zurückblicken und in Dankbarkeit feststellen, dass unsere heutige verfassungsmäßige Ordnung sich sowohl auf Landesebene als auch auf Bundesebene – bei allem Reformbedarf, der in einzelnen Teilen besteht – in den vergangenen sechs Jahrzehnten erfolgreich bewährt hat.
Darüber hinaus ist er aber auch ein Tag des Gedenkens. Georg August Zinn wollte mit der Verleihung der Wilhelm-Leuschner-Medaille am 1. Dezember auch diesen Aspekt zum Ausdruck bringen: dass unsere demokratische Verfassung eine Vorgeschichte hat, dass für das Eintreten ihrer Ideale zuvor hohe Opfer erbracht worden waren.Wilhelm Leuschner war eine Leitfigur im Widerstand gegen die Nazi-Herrschaft.
Frühzeitig warnte er vor den Gefahren für die Demokratie, die von den aufstrebenden Nationalsozialisten ausgingen. Als Innenminister versuchte er, die radikalen Kräfte mit den ihm zur Hand gegebenen rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen. Doch es kam anders: Durch die nationalsozialistische Machtergreifung verlor er 1933 sein Amt. Er wurde verhaftet und inder Folge mehrfach Opfer von Willkür und Misshandlung.
Nach dem missglückten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 wurde Leuschner denunziert und vor den Volksgerichtshof verbracht. Die Vollstreckung seines Todesurteils geschah am 29. September 1944. Er starb für die Ideale von Freiheit und Demokratie. Wilhelm Leuschner – ein großer Name. Und es ist eine große Ehre, eine Auszeichnung in seinem Namen an Menschen zu verleihen, die sich im Geiste Leuschners hervorragende Verdienste um die demokratische Gesellschaft erworben haben.
So wie Bilanz und Ausblick in jeder Hinsicht unseren heutigen Geburtstag prägen, so verändert sich auch zunehmend die Perspektive der Verleihung der höchsten Auszeichnung des Landes. Die Verteidigung unserer demokratischen Ordnung, das Eintreten für Menschenrechte und Gerechtigkeit bleibt eine fortwährende Aufgabe. Sie findet auch in unserem Land täglich statt. Gott sei Dank geht es dabei nicht mehr um den Kampf gegen eine Diktatur, sondern es geht um das tägliche Bewahren unserer Freiheit. Die Anstrengungen unserer Tage sind anders, aber sie sind weder sinnlos noch überflüssig. Deshalb wird die Leuschner-Medaille auch in den kommenden Jahrzehnten an unserem Verfassungstag verliehen werden. Wir werden damit Menschen ehren, auf deren Schultern die stolze Geschichte dieses Landes in den vergangenen Jahrzehnten mit ruhte. Alle Bürger diesesLandes sollen wissen, dass ihr Einsatz für Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit auch in Zukunft dringend gebraucht wird. Und dass die einzige Garantie dafür, dass wir unsere Ordnung bewahren, die ist, die wir selbst täglich verwirklichen. Unzählige Männer und Frauen wirken an der Gestaltung unserer Zukunft mit. Nicht alle werden geehrt, aber es wird die fortwährende Aufgabe bleiben, Menschen zu suchen, die uns allen als Beispiel gelten können, wie sie Säulen unserer Gesellschaft sind. Säulen, die stabil sein müssen, Selbstbewusstsein zeigen und auch schwere Wetter überstehen. Sie zusammen können auch inder Zukunft unser Land tragen.
Vier dieser Säulen, auf denen die Gesellschaft unseres Landes ruht, werden durch die vier Männer repräsentiert, die wir heute mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille auszeichnen möchten. Sie stehen für die Integration der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen, die das junge Land Hessen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgenommen hat. Sie stehen für die Integration von Menschen, die in den Jahren des Wirtschaftswunders aus anderen Teilen Europas zu uns gekommen sind und zu dem einzigartigen Aufschwung beigetragen haben. Sie stehen für Wirtschaftskraft und unternehmerische Verantwortung, dank derer Hessen heute zu den wohlhabendsten Regionen Europas gehört. Und sie stehen schließlich auch für Solidarität und das Eintreten für eine gerechte Verteilung dieses Wohlstandes – als Beitrag zum inneren Frieden in diesem Lande.
Sehr geehrter Herr Weihbischof Pieschl,
Ihnen ist in jungen Jahren das Elend der Vertreibung widerfahren. 1934 in Mährisch-Trübau im Sudetenland geboren, mussten Sie Ihre Heimat nach dem Krieg verlassen. Dieses Schicksal teilen Sie mit vielen anderen Menschen in diesem Lande. Zu Beginn der 50er Jahre war jeder sechste Hesse ein Heimatvertriebener, insgesamt über eine Dreiviertelmillion Menschen. Der Mangel an Wohnraum war beträchtlich. Gerade unter den Flüchtlingen herrschte eine hohe Arbeitslosigkeit. Die damalige Hessische Landesregierung unter Ministerpräsident Zinn reagierte auf diese Nöte mit einem bis heute beispiellosen Infrastrukturprojekt, dem „Hessenplan“: Rund zwei Jahrzehnte lang entstanden jedes Jahr etwa 50.000 neue Wohnungen in den Städten und Gemeinden Nord-, Mittel- und Südhessens. Mit staatlichen Fördergeldern wurden strukturschwache ländliche Regionen erschlossen und kleine und mittlere Betriebe – namentlich auch Flüchtlingsbetriebe – bei der Ansiedlung in diesen Gebieten unterstützt.
Doch der Staat kann eine solche Herkulesaufgabe nicht allein bewältigen. Integration ist immer auch eine Aufgabe für die Gesellschaft und für die jeweils Betroffenen. Sie, Herr Weihbischof Pieschl, haben sich des Themas Integration in besonderer Weise angenommen.
Die Freude über die Integration von rund einer Dreivierteilmillion Menschen in unsere hessische Gesellschaft hat heute schon fast romantische Züge. Wir sollten nicht vergessen, welche Herausforderungen sie nicht nur für die entwurzelten und hoffnungslosen Menschen waren, die zu uns gekommen sind, und wir sollten auch nicht vergessen, wie die Stimmung einer Bevölkerung war, die in einem kriegszerstörten Land die noch verbliebenen intakten Wohnungen durch Zwangseinweisungen und Zwangsbelegungen mit Menschen zu teilen hatten, die sie bisher nicht kannten. Dass daraus eine friedliche Gesellschaft wurde, die zusammenwuchs und anpackte, das Land aufzubauen, ist alles andere als selbstverständlich.Diese beachtliche Lebensleistung steht in der Tradition von mehr als einem Drittel der Familien, die heute in Hessen leben.
Seit 1978 sind Sie Weihbischof in Limburg. 1983 hat Sie die Deutsche Bischofskonferenz zu ihrem Beauftragten für die katholische Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge ernannt. Sie haben sich in dieser Funktion für die Eingliederung von Flüchtlingen, Heimatvertriebenen und Spätaussiedlern engagiert und darüber hinaus einen Beitrag zur Verständigung mit unseren mittel- und osteuropäischen Nachbarvölkern geleistet. Als ein Mensch, der fest im christlichen Glauben verwurzelt ist, wurde die Aussöhnung mit denjenigen, von denen Sie einst als Junge vertrieben wurden, zu einer Lebensaufgabe für Sie.
Die einstige Vertreibung war für Sie also kein Abschied für immer. Sie haben sich in einer Zeit, in der noch Grenzzäune und Stacheldrähte Europa in zwei Hälften schnitten, stets dafür interessiert, was auf der anderen Seite der Grenze vor sich ging. Zu Ihrem einstigen Heimaterzbistum Olmütz in Mähren haben Sie enge Beziehungen und eine intensive Partnerschaft aufgebaut, weshalb man Ihnen dort vor wenigen Jahren den Titel „Domkapitular ehrenhalber“ verliehen hat.
In herausragender Weise haben Sie sich um die Integration von Neubürgern in diesem Lande verdient gemacht und zugleich Vorurteile und Misstrauen zwischen den Völkern geholfen abzubauen. Dafür gebührt Ihnen unser aufrichtiger Dank.
Sehr geehrter Herr Bortoli,
auch Sie haben in jungen Jahren Ihre Heimat verlassen, wenngleich Ihre Beweggründe völlig andere gewesen sein mögen als bei Weihbischof Pieschl. Nachdem Sie im norditalienischen Stresa am Lago Maggiore sowie in Frankfurt am Main eine Hotelfachschule besucht hatten, machten Sie sich in den 50er Jahren als Gastronom hier in Hessen selbständig. 1957 führten Sie in Gießen bereits mehrere Restaurants. Für meine Generation – und erst recht für die hier anwesenden Schülerinnen und Schüler – ist es nicht mehr ganz so leicht nachvollziehbar, wie exotisch der damaligen hessischen Bevölkerung Ihre italienische Küche vorgekommen sein muss. Es heißt, Sie hätten die Pizza nach Gießen gebracht. Wenn Sie nun die jungen Menschen hier fragen, was deren Lieblingsgericht ist, bin ich sicher, dass Sie mit einem hohen Prozentsatz „Pizza“ oder „Pasta“ als Antwort erhalten. Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass Integration immer auch eine gegenseitige Bereicherung darstellen kann. Hessen benötigte in den 50er Jahren dringend Arbeitskräfte, um das rasche Wachstum seiner Wirtschaft bedienen zu können. Auch in Italien wurden gezielt die sogenannten „Gastarbeiter“ angeworben. Heute noch bilden italienische Staatsbürger die zweitgrößte ausländische Bevölkerungsgruppe in unserem Land. Mehr als 66.000 Italiener leben in Hessen.
Als erfolgreicher Pächter einer ganzen Reihe von italienischen Restaurants trugen Sie zeitweise Verantwortung für etwa 200 Gastronomen, Hoteliers und Fachangestellte. Stets waren Sie ein willkommener Ansprechpartner für die Sorgen und Nöte Ihrer Landsleute. Sie halfen ihnen durch die Vermittlung von Ausbildungsplätzen, bei der Suche nach Wohnungen oder bei Behördengängen. In zahlreichen Ehrenämtern haben Sie sich für die Belange italienischer Mitbürger und dem kulturellen Austausch mit Deutschen engagiert. Sie sind Mitbegründer der Deutsch-Italienischen Gesellschaft Mittelhessen sowie der „Vereinigung italienischer Gastronomen in der Bundesrepublik Deutschland (Ciao Italia)“. Von 1989 bis 1997 waren Sie Präsident der bundesweiten Vereinigung, der etwa 30.000 italienische Restaurationsbetriebe in Deutschland angehören.
Herr Bortoli, getreu dem Motto „Hesse ist, wer Hesse sein will“ haben Sie sich in ausgezeichneter Weise um die Integration von Gastarbeitern in diesem Land verdient gemacht. Dafür gilt Ihnen unser Dank und unsere Anerkennung.
Sehr geehrter Herr Professor Langmann,
Sie sind heute Ehrenvorsitzender des Familienrates der Merck OHG. Vierzig Jahre lang – von 1964 bis 2004 – waren Sie Persönlich haftender Gesellschafter dieses Unternehmens. Das ist in einer Zeit, in der Unternehmenspolitik allzu oft eine Getriebene der internationalen Kapitalmärkte ist, etwas Außergewöhnliches, geradezu Unvorstellbares. Viele Managerverträge überdauern heutzutage nicht einmal zwei, drei Jahre. Und von persönlicher Haftung steht darin meistens auch nichts geschrieben. Anders bei Ihrem Unternehmen! Es handelt sich dabei um ein geschichtsträchtiges Unternehmen, das weit überwiegend in Familienhand ist und sich seiner langen Tradition bewusst ist. Merck gilt als das älteste pharmazeutisch-chemische Unternehmen der Welt. Die Unternehmensgründung – heute würde man wohl von einem „Start-up“ sprechen – reicht in das Jahr 1668 zurück. Es war jenes Jahr, in dem Friedrich Jakob Merck in Darmstadt dasApothekenprivileg erhielt und begann, mit verschiedenen Essenzen zu experimentieren. Herr Professor Langmann, Sie haben in Ihrer jahrzehntelangen Geschäftsführertätigkeit bewiesen, dass ein Unternehmen mit einer großartigen Vergangenheit auch in der Gegenwart erfolgreich sein kann. Unter Ihrer Führung erreichte das Unternehmen 1980 erstmals einen Jahresumsatz von einer Milliarde D-Mark. Sie erschlossen neue Märkte in Übersee: in Nordund Südamerika, in Asien. Der Firmenhauptsitz in Darmstadt wurde im Laufe der Zeit immer wieder ausgebaut und modernisiert – Sie blieben dem Standort Deutschland jederzeit treu. Im Jahr 1995 ging das Unternehmen schließlich als „Kommanditgesellschaft auf Aktien“ an die Börse. Es war der bis dahin größte Börsengang der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Heute blickt die Merck-Gruppe zuversichtlich in die Zukunft. Das Unternehmen ist gut aufgestellt. Es bietet rund 29.000 Mitarbeitern in 54 Ländern hochqualifizierte Arbeitsplätze. Merck ist Weltmarktführer bei der Herstellung von Flüssigkristallen, die überall in der modernen Welt – in Fernsehern, Handys und Computerbildschirmen – Anwendung finden. Etwa 90 Prozent des Konzernumsatzes fallen im Ausland an. Dieser Erfolg des Unternehmens Merck ist vor allem auch Ihr Verdienst, Herr Professor Langmann, denn Sie haben über viele Jahre hinweg die Weichen gestellt. Darüber hinaus haben Sie aber vor allem gezeigt, dass unternehmerische Verantwortung nicht mit der Jahresbilanz endet. Sie waren und sind auf vielfältige Weise in Verbänden und Stiftungen engagiert und haben in herausragenden Positionen Verantwortung in der Gesellschaft und für die Gesellschaft übernommen:
In den Jahren 1974 und 1975 waren Sie Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie und gehören noch heute dem VCI-Präsidium als Ehrenmitglied an. Ebenso führten Sie den Bundesverband der Deutschen Industrie von 1985 bis 1987 als dessen Präsident. Herr Professor Langmann, Ihre Generation hat unser Land nach dem Krieg aufgebaut und den Weg für unseren heutigen Wohlstand geebnet. Hessen ist stolz, dass es über so große Unternehmerpersönlichkeiten wie sie verfügt. Das erfolgreiche Unternehmen Merck wirbt weltweit mit seinen Erzeugnissen auch für die Innovationskraft unseres Landes. Deshalb ist es mir eine Freude, Sie persönlich heute mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille auszuzeichnen.
Sehr geehrter Herr Müller,
Sie haben Ihr gesamtes Berufsleben im Dienst der Adam Opel AG und deren Belegschaft gestanden. Nach der Mittleren Reife begannen Sie als 17-Jähriger eine Lehre als Werkzeugmacher, wurden als Technischer Zeichner übernommen und arbeiteten schließlich als Konstrukteur im Technischen Entwicklungszentrum. Dabei waren Sie von Anfang an, schon während der Ausbildung, als Mitglied der IG Metall auch gewerkschaftlich aktiv. 1972 erfolgte Ihre Wahl in den Betriebsrat des Opel-Stammwerkes in Rüsselsheim. 1975 wurden Sie stellvertretender Vorsitzender sowohl des Betriebsrates in Rüsselsheim als auch des Gesamtbetriebsrates der Adam Opel AG. Ab 1993 hatten Sie in beiden Betriebsräten den Vorsitz. Als Belegschaftsvertreter gehörten Sie außerdem dem Aufsichtsrat des Unternehmens an, zuletzt waren Sie stellvertretender Vorsitzender des Gremiums. Betrachtet man einmal die Geschichte des Rüsselsheimer Automobilbaus im vergangenen Jahrhundert, so waren die 90er Jahre sicherlich nicht die einfachste Zeit für einen Betriebsratsvorsitzenden: Moderne Produktionstechniken, ein geringer Absatz und der Zwang zu Kosteneinsparungen führten dazu, dass Opel allein zwischen 1995 und heute jeden dritten Arbeitsplatz in Deutschland abgebaut hat.
Über die Arbeit der Betriebsräte in dieser schwierigen Zeit haben Sie einmal selber gesagt: „Wir haben nicht die Macht zu bestimmen, sondern müssen überzeugen.“ Mir scheint, dass es Ihnen sehr gut gelungen ist, die richtigen Entscheidungsträger davon zu überzeugen, die unvermeidlichen Sanierungsmaßnahmen zumindest so umzusetzen, dass sie menschenwürdig und weitestgehend sozialverträglich vonstatten gehen. Den Herausforderungen durch die europäisierten und globalisierten Märkte begegneten Sie außerdem durch die Schaffung eines Europäischen Arbeitnehmerforums bei General Motors, dessen Mitbegründer und Vorsitzender Sie ebenfalls waren. Dieses Arbeitnehmerforum tritt auf europäischer Ebene für die Belegschaftsinteressen und die Solidarität zwischen den einzelnen Unternehmensstandorten im General-Motors-Konzern ein.
Herr Müller, im Juni 2000 endete nach 44 Jahren Ihr ereignisreiches und erfülltes Berufsleben. Sie haben in dieser Zeit viel erreicht. Mit Ihrem leidenschaftlichen Dienst für die Interessen der Arbeitnehmer handelten Sie ganz im Sinne des Gewerkschafters Wilhelm Leuschner. Es ist mir deshalb eine besondere Freude, Ihnen heute diese Medaille zu überreichen.
Die Persönlichkeiten, denen wir heute die Wilhelm-Leuschner-Medaille verleihen, sind durch Ihr Wirken zu tragenden Säulen unserer Gesellschaft geworden. Sie haben die Entwicklung unseres Landes mitgeprägt.
Ich darf die vier Herren nun bitten, zu mir zu kommen.
Vielen herzlichen Dank!