Hessens Ministerpräsident zieht im Streitgespräch mit Guido Westerwelle in der „Leipziger Volkszeitung“ positive Bilanz der bisherigen Arbeit der Großen Koalition
Frage: Was hätten Sie beide besser gemacht, hätte es 2005 geklappt?
Westerwelle: Wir hätten als erstes ein einfacheres, niedrigeres und gerechteres Steuersystem beschlossen, um mehr Wettbewerb und Arbeitsplätze zu ermöglichen. Wir hätten den Arbeitsmarkt dereguliert. Wir hätten entbürokratisiert und nicht das unsinnige Antidiskriminierungsgesetz unter die Leute gebracht und die sozialen Sicherungssysteme wären zukunftsgerechter reformiert worden.
Koch: Wenn unsere Parteien hätten regieren können, wäre es auch nicht ohne Konflikte abgegangen. Dafür hätte schon die FDP gesorgt. Neben der Haushaltskonsolidierung hat die CDU sich mit ihren Leipziger Reformbeschlüssen auch auf eine Veränderung auf dem Arbeitsmarkt eingeschworen. Damit können wir in der großen Koalition nicht beginnen. Neben der jetzt vereinbarten Unternehmenssteuerreform, die auch Guido Westerwelle gelobt hat, gehört eine weitere Absenkung bei der Einkommenssteuer dazu. Es gibt entscheidende Teile eines Reformprogramms der CDU, die in einer bürgerlichen Koalition leichter verwirklicht werden können.
Frage: Manche in der Union sagen, so einen Seite-an-Seite-Wahlkampf zwischen CDU/CSU und FDP wie 2005 darf es nie wieder geben. Das bringe keine Mehrheit und wirke unsozial.
Koch: Es sollte Teil der Politikkultur bleiben, dass, wenn das Wahlergebnis es ermöglicht, jene zusammenarbeiten, die die größte Übereinstimmung in ihrer Programmatik haben. Natürlich ist das Maß an Übereinstimmung in den Wahlprogrammen von Union und FDP sehr viel höher, als unsere Schnittmenge mit SPD und Grünen. Dabei verkenne ich nicht, dass die Fähigkeiten der FDP gelegentlich unterentwickelt sind, sich vorzustellen, was man sozial Schwachen zumuten kann.
Westerwelle: Die FDP setzt auf gute soziale Ergebnisse von Politik, und nicht bloß auf gute soziale Absichten. Roland Koch hat völlig recht, wenn er auf gute Erfahrungen mit Regierungen von Union und FDP hinweist. Gemeinsam regieren wir in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen fast die Hälfte der Bundesbürger. Ich kann mir auch vorstellen, dass noch andere gemeinsame Regierungen, z.B. in Hessen, dazu kommen.
Koch: Aufgabe der Union wird sein, die Erfolge der großen Koalition ausreichend herauszustellen. Unsere Leistung bei der Etatkonsolidierung wird jeder nächsten Koalition das Leben sehr viel einfacher machen, Herr Westerwelle. Man muss nicht alles wegreden. Dennoch gilt: Die CDU will mehr. Wir wollen möglichst viel Einfluss auf die Regierungspolitik erreichen.
Westerwelle: Das sind bemerkenswert klare Worte. Sie verwundern mich nicht, nachdem SPD-Fraktionschef Struck einerseits Frau Merkel als Kanzlerin über den grünen Klee gelobt hat, um anschließend mitzuteilen, als SPD wolle man mit ihr keinesfalls länger als unbedingt nötig zusammenarbeiten.
Koch: Die Union sah sich nach der Wahl in der Verantwortung, dass es keine Jahre des Stillstands oder gar des Abdriftens der Republik nach links geben darf. Die große Koalition ist für uns keine Liebesheirat. Andererseits ist sie für uns Ansporn, besondere Leistung zu erbringen. Die FDP hätte nichts davon, wären beide großen Volksparteien so klein, dass sie mit keiner eine Koalition bilden könnte. Also sollte sich die FDP in einer ruhigen Stunde überlegen, dass sie selbst ein großes Interesse am Erstarken der Union haben sollte. Und die Union sollte sich nicht selbst bejammern, jetzt in der großen Koalition zu sein. Die Koalition ist besser als ihr Ruf, die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosenzahlen sinken, die Etatslage verbessert sich spürbar.
Westerwelle: Die FDP will möglichst stark sein, um das aufzufangen, was beide Volksparteien an Bindungswirkung verlieren. Ich höre sehr gerne, dass die Unternehmenssteuerreform von Herrn Koch als entscheidendes Politikprojekt herausgestellt wird. Das ist ein langjähriges FDP-Projekt, das wir unterstützen möchten. Ich achte allerdings auch auf das klein Gedruckte: Die Entlastungswirkung der Unternehmenssteuerreform, wie sie zwischen Ministerpräsident Koch und Bundesfinanzminister Steinbrück vereinbart worden ist, wurde wenige Tage später vom Parteirat der SPD schon wieder in Frage gestellt. Das macht wenig Sinn.
Koch: Richtig. Die Entlastungswirkung für die Unternehmen, die wir vereinbart haben, ist essentiell für das Funktionieren der Unternehmenssteuerreform. Wir Verhandler sind uns darüber im Klaren. Wir wollen damit im Ziel Wirtschaftswachstum schaffen. Die Unternehmen müssen zukünftig nicht mehr ihre Gewinne im Ausland anfallen lassen. Deshalb kann am Ende der Ertrag für den deutschen Fiskus durchaus höher als derzeit sein. Aber dazu muss das Vertrauen für die Unternehmen geschaffen werden. Das setzt eine beachtliche Nettoentlastung voraus.
Frage: Erfüllt es Sie beide mit Genugtuung, dass die CDU mit Rüttgers die Gerechtigkeits-Wende versucht?
Westerwelle: Mit dieser Diskussion muss die Union auf ihrem Bundespartei selbst fertig werden. In der Sache ist die FDP-Haltung klar: Im jetzigen System der Sozialversicherungen ist die Arbeitslosenversicherung eher eine Risikoversicherung und kein Ansparbuch. Dass in einem anderen System der Gedanke, dass sich langjähriges Einzahlen lohnt, eine Debatte wert ist, will ich aber nicht verschweigen.
Koch: CDU und FDP tragen in der Koalition in NRW die Position von Jürgen Rüttgers beim Arbeitslosengeld I. Das steht in Übereinstimmung mit Grundsatzbeschlüssen der Union. Angesichts der Vorgeschichte erwarte ich nicht, dass dieser Antrag auf dem Parteitag die Gefühlswelt der Union über Gebühr in Wallung versetzen wird. Grundsätzlich wollen wir schon mit unserer Grundsatzprogramm-Debatte dafür sorgen, dass die Freiheit des Einzelnen das zentrale Gestaltungselement einer modernen Gesellschaft ist. Daraus leiten sich Gerechtigkeit und Solidarität ab. Bereitschaft zu mehr Wohlstand und Sicherheit bedeutet aber auch die Bereitschaft zur individuellen Übernahme von mehr Risiken. Das zu vermitteln, ist uns vielleicht nicht immer ausreichend genug gelungen.
Frage: Ich bilanziere: Die große Koalition als Not-Bündnis, eine Union-FDP-Koalition als Ideallösung. Warum nicht auch eine „Jamaika“-Koalition?
Koch: Jetzt haben wir so ein schönes Interview geführt … Komm Guido, fang du mal an.
Westerwelle: Die Koalitionsfrage werden wir nicht beantworten, wenn sie uns gestellt wird, sondern wenn sie sich tatsächlich stellt. So haben wir es beim letzten Mal auch gemacht. Und wir haben uns anders als andere an unser Wort gehalten. Der Politikwechsel ist unser Maßstab.
Koch: Große Koalition hat nichts mit Not zu tun. Sie ist ein Auftrag der Wähler. Und die sollten wir nicht jeden Tag beschimpfen. Diese Koalition ist mit einer Politik der kleinen Schritte auf einem durchaus erfolgreichen Weg. Was die Koalition der Zukunft angeht, so werbe ich sehr dafür, dass die Union so stark wird, dass man nicht über Dreier-Konstellationen reden muss.
Moderation: Dieter Wonka