Tag des offenen Denkmals
Ministerpräsident Roland Koch zur Eröffnung des Tages des offenen Denkmals
Sehr verehrter Herr Bürgermeister, Herr Landrat, Herr Landtagspräsident,
werte Kolleginnen und Kollegen, meine sehr verehrten Damen und Herren,
es gehört nach der hessischen Tradition zu den Aufgaben der Kommunalpolitik für gutes Wetter zu sorgen – das muss man zugeben. Das ist eine ziemliche Punktlandung, die wir heute hier und an vielen Orten des Landes anlässlich der Eröffnung des Tages des offenen Denkmals 2006 erleben. Ich freue mich sehr, dass Sie alle mit Ihrer Anwesenheit hier Ihr Interesse an dieser Veranstaltung und diesem Tag bezeugen, an dem sicherlich wieder Hunderttausende von Bürgern in ganz Deutschland, viele davon auch in unserem Bundesland Hessen, die Gelegenheit wahrnehmen werden, sich direkt mit ihrer Geschichte, mit den Traditionen ihrer Region, ihrer Heimatgemeinde oder ihrer Heimatstadt zu beschäftigen. Wir werden heute 550 Kulturdenkmäler in Hessen mit geöffneten Toren vorfinden und damit alle Aspekte der geschichtlichen und kulturellen Entwicklung unseres Landes zugänglich machen.
Bad Nauheim ist unter vielen Gesichtspunkten ein sehr guter Ort, ein solches Ereignis offiziell zu eröffnen. Diese Stadt ist seit den keltischen Anfängen von bedeutenden Stämmen besiedelt worden und hat bis in die Gegenwart innerhalb dieser Region und oft über diese Region hinaus besondere Geltung gewonnen. Dass der Jugendstil, das Netzwerk des europäischen Jugendstils, seinen engsten und besten Verknüpfungspunkt in Deutschland hier in dieser Stadt hat, dass diese Stadt wie kaum eine andere in ihrer heutigen Architektur aus dieser Zeitepoche geprägt ist, das ist heute ihr besonderes Kapital.
Wenn wir über den Tag des offenen Denkmals sprechen, reden wir immer über ein großes Erbe, eine herrliche Chance zum Erlebnis, eine große Verantwortung, aber auch über enorme Herausforderungen, mit denen wir gelegentlich lange Zeit zu kämpfen haben, bis die Probleme gelöst sind. Das gilt für den Staat, für die Städte, Gemeinden und Landkreise; es gilt für außerordentlich viele einzelne Bürgerinnen und Bürger als Eigentümer solcher Liegenschaften, mitsamt all ihren Verantwortlichkeiten, die sie aus dem Denkmalschutzrecht übertragen bekommen. Ich denke auch an diejenigen, die sich als Bürger engagieren, um mit der Öffentlichkeit und mit Privaten zusammen Kunst- und Kulturschätze in einem Zustand zu erhalten und zu nutzen, so dass diese Schätze nicht einfach zu einer abgelegten Vergangenheit werden, sondern in unserem täglichen Leben verankert bleiben.
Deshalb möchte ich an einem solchen Tag erneut zwei Gruppen in besonderer Weise danken: Zum einen den Bürgerinnen und Bürgern, die sich mit ihrem Eigentum im Denkmalschutz engagieren. Natürlich gibt es für sie eine kleine staatliche Anerkennung durch steuerliche Förderung, aber die macht keineswegs wett, was an Aufwand, Anpassungsbereitschaft, ja gelegentlich auch an Opfern von Einzelnen verlangt wird, um den kommenden Generationen unsere Denkmäler in einer Weise zu erhalten, dass sie aus der Baugeschichte der letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte genug lernen können, um ihre eigene Tradition daraus zu begründen. Es gibt glücklicherweise Tausende von Eigentümern in unserem Land, die sich sehr mit dem identifizieren, wofür sie Verantwortung übernommen haben. Deshalb glaube ich, dass man bei der Eröffnung des Tages des offenen Denkmals allen danken muss, die als Eigentümer Verantwortung für unsere Vergangenheit und unsere historischen Baudenkmäler zeigen.
Und es gibt eine zweite Gruppe, die hier auch schon erwähnt worden ist und die besonderen Dank verdient: Das sind die Ehrenamtlichen in vielen Vereinen und Gruppen unterschiedlichster Art, die sich der Pflege unserer Bau- und Kulturdenkmäler verschrieben haben. Vieles von dem, was der Staat oder die Städte und Gemeinden betreiben, wäre ohne dieses bürgerschaftliche Engagement nicht möglich. Vieles von dem, was an schützenswerter Bausubstanz heute erhalten ist, gäbe es ohne deren Initiative und Aufmerksamkeit häufig gar nicht mehr. Vieles von dem, was an Nutzung in diesen Gebäuden zukünftig möglich ist, werden wir auch deshalb einmal jüngeren Generationen zeigen können, weil es Bürgerinnen und Bürger gibt, die bereit sind, sehr viel Zeit für den Erhalt der Baudenkmäler zu opfern. Zeit in Verbindung mit eigener Erfahrung und oft einer Menge an beruflichen Kenntnissen der unterschiedlichsten Art. Zeit aber auch mit großem Engagement und Kreativität bei der Gestaltung von Veranstaltungen, bei der ständigen Betreuung von Sammlungen und bei vielen anderen Aktivitäten – auch das betrifft Tausende von Menschen in unserem Land. Deshalb gilt der zweite Dank all denen, die sich ehrenamtlich dafür engagieren, das kulturelle Erbe in unserem Lande zu schützen und zu pflegen.
Die Herausforderung, die dabei vor jedem Einzelnen steht, kann ein Mann wie der Bürgermeister dieser Stadt in einer besonderen Weise beschreiben. Natürlich ist der Schutz eines Stadtensembles, der Schutz von einzelnen besonderen Gebäuden, die stadtgestaltend sind, aber auch das Füllen dieser Gebäude mit Leben, eine echte Herausforderung, die bei der Stadtplanung beginnt und bei den konkreten finanziellen Ressourcen, die man täglich und jährlich wieder neu mobilisieren muss, endet. Ich bin der Auffassung, dass jede Stadt – und auch jede Region – einen Weg finden muss, mit diesen Schätzen zu wuchern. Und zwar so zu wuchern, dass die Stadt oder Region aufgrund ihrer dadurch gewonnen Attraktivität auch eine gewisse Anerkennung und einen Teil des investierten Geldes in Form von Tourismus und Fremdenverkehr zurückerhält. Letzten Endes muss man diese Immobilien so klug wie möglich nutzen, damit modernes Leben und die Anforderungen des Denkmalschutzes friedlich unter einem Dach vereinbar sind, ohne dass es zu gegenseitigen Beeinträchtigungen kommt.
Das ist übrigens auch eine Aufgabe, der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Denkmalschutzbehörden nachgehen und die Herr Professor Dr. Weiß heute hier repräsentiert. Sie befinden sich oft in einem großen Spannungsfeld zwischen dem, was wirtschaftlich noch vertretbar und was unter dem Gesichtspunkt des Restauratorischen eigentlich erwünscht ist. Wenn wir, der Staat, mit unseren Behörden dies bei Privaten genehmigen, sind wir nicht frei von eigener Betroffenheit. Auch hier in dieser Stadt besitzt das Land Hessen eine eigene bedeutende Immobilie und Liegenschaft – ein Hessisches Staatsbad. Der im Zentrum dieser Anlage befindliche Sprudelhof bildet ein einzigartiges Ensemble, das wir in die Verantwortung dieser Stadt übergeben haben. Es wurde dabei eine faire Vereinbarung getroffen: Dort, wo Eigenverantwortung möglich ist, diese zu übertragen und Rücksicht darauf zu nehmen, dort, wo eine Übertragung nicht so einfach möglich ist, die Liegenschaft beim Land zu belassen.
Ich weiß, dass es in dieser Stadt über die Frage der Nutzung des Sprudelhofs unterschiedliche Auffassungen gibt, das ist normal. In einer politischen Debatte gibt es fast nie nur eine Auffassung, weil ein Teil ja immer auch deshalb eine andere Meinung hat, damit die Unterschiede deutlich werden. Das gehört zu unserer Demokratie. Ich will an dieser Stelle aber ausdrücklich sagen, dass wir uns in einer gewissen Besonderheit der Diskussion befinden. Ich glaube, dass unsere Generation durchaus eine Verpflichtung hat, ein solches beeindruckendes Ensemble, ein solches besonderes Zeugnis der Zeitgeschichte zu nutzen, ohne es zu zerstören, aber eben auch ohne es dauerhaft in die Abgeschiedenheit zu geben. Ich weiß nicht, ob das in dieser Zeit gelingt. Ich glaube, dass es dafür ganz brauchbare Ideen gibt, über die die Kommunalpolitik nachdenken mag. Ich sage sehr offen: Für das Land als Eigentümer gibt es auch die Alternative, den restauratorischen Bestand der Immobilie so zu sichern, dass unsere nächste Generation darüber weiter reden kann. Nur offen gesagt: Dieses Ensemble ist zu groß, um zu glauben, dass man es ohne Nutzungen, die auch mit unserer heutigen Zeit verbunden sind, in einer vernünftigen Form erhalten kann. Und deshalb lautet die Frage, ob wir jetzt eine Idee und den Mut dafür haben, diesen Sprung zu tun und Neues mit Altem zu verbinden.
In einer Denkmalschutzdiskussion muss beides erlaubt sein, denn wir bewahren etwas aus vergangenen Jahrhunderten, und wir bewahren es für kommende Jahrhunderte. Ich hoffe, dass wir an einem solchen Beispiel wie dem Sprudelhof, gerade an einem Tag, an dem wir über Denkmäler sprechen, den Weg finden werden, mit viel Engagement, Leidenschaft und Mut darüber nachzusinnen, wie man es schaffen kann, wirtschaftliche Nutzungen für die Zukunft mit den großartigen Bauwerken der Vergangenheit zu verbinden. Ich persönlich bin der Auffassung, dass aus diesen Gebäuden etwas zu machen sein müsste, ohne dass man die Traditionen vergisst. Aber wir müssen so vorgehen, dass es zu einer gemeinsamen Anstrengung wird. Fast alle solche Bauwerke sind seinerzeit nicht ohne Streit und Diskussion entstanden, aber am Ende sind sie ein wesentlicher Teil der Identität der jeweiligen Stadt, Gemeinde oder des jeweiligen Wohngebietes geworden. Wir wollen diese Maßstäbe erhalten und mit wirtschaftlicher Vernunft, mit Augenmaß, gelegentlich auch mit behördlicher Zurückhaltung dafür sorgen, dass jeder Eigentümer mit seinem Wert, mit seiner Immobilie eine Zukunft gestalten kann und nicht in die Vergangenheit zurückgeworfen wird. Wir wünschen, dass das Ergebnis zum Stolz der Menschen wird, die damit und darin leben.
Dies ist ja letzten Endes der Gedanke des Tages des offenen Denkmals. Ich wünsche Ihnen interessante Erlebnisse, neue Anregungen, aber vor allem bitte ich Sie: Bleiben Sie den alten Gemäuern gewogen! Vielen herzlichen Dank.