Mittelstandstagung des BDI
Rede des Hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch auf der Mittelstandstagung des BDI in Berlin
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
zunächst bedanke ich mich für die Einladung. Vorab möchte ich Ihnen die herzlichsten Grüße meiner Parteivorsitzenden Angela Merkel ausrichten. Sie müssen heute mit ihr Vorlieb nehmen, weil sie augenblicklich im Deutschen Bundestag an den Diskussionen und Verhandlungen zur Regierungsbildung teilnimmt. Als dieser Termin vor gut einem Jahr geplant wurde, waren wir der Meinung, dass dies alles – Bundestagswahl und Regierungsbildung – noch ein Jahr in der Zukunft läge. Das zeigt, wie schnelllebig oftmals die Entwicklung vorangeht. Was man vor einem Jahr angenommen hat oder was man vor nicht einmal sechs Wochen gedacht hat, ist schnell Geschichte geworden. Das gilt nicht nur für die Terminpläne, sondern auch für die dahinter stehenden politischen Fragestellungen.
Natürlich betrifft diese Entwicklung in einer besonderen Weise die mittelständische Wirtschaft. Ich finde es gut, dass man auf der Bühne hier in dieser Diskussion deutlich macht, dass die mittelständischen Unternehmen in Deutschland keineswegs von ihrer Größenordnung her zu klein und unbedeutend sind, als dass sie von der industriepolitischen Planung übersehen werden könnten. Wenn wir beispielsweise über die Automobilindustrie in diesem Land reden, muss doch klar sein, dass es sich dabei speziell im Bereich der Zulieferer zum großen Teil um den Mittelstand handelt. Dies wird besonders deutlich, wenn ich mein eigenes Bundesland sehe. Fast jeder vierte industrielle Arbeitsplatz in Hessen befindet sich in der Automobilindustrie. Von diesen gehen wiederum nicht einmal 30 Prozent auf das Konto der großen Automobilunternehmen, die natürlich auch zum Mitgliederkreis des BDI gehören.
Wenn man jetzt in einer so unruhigen Lage über die Frage spricht, was in der deutschen Politik insgesamt und damit logischerweise auch für den Mittelstand zu tun ist, stehen auch die Christdemokraten in diesen Tagen vor keiner einfachen Aufgabe. Wir hatten uns eigentlich längerfristig festgelegt, was zu tun ist, welche Schritte schnell geschehen müssen, welche Ziele man damit verbindet und wie man das erreichen kann. Wir sind jetzt in einer völlig anderen Konstellation, die so von niemandem in den Auseinandersetzungen des Wahlkampfs vorhergesehen wurde. Wenn Herr Steinmeier nach mir hier spricht, wird man das bemerken. Wir sind in einer Lage, die wir alle nicht so recht erwartet haben. Die eigentlich notwendige Bilanzprüfung der noch amtierenden Regierung, die für die Verhandlungen über eine Koalition erforderlich wäre, ist nicht rechtzeitig abgeschlossen. Zudem stehen jetzt nervös die Analysten herum und fragen sich, was in dieser Lage überhaupt zu machen ist. Das ist für uns alle eine Schwierigkeit. Sie trennt uns in diesem Raum aber nicht, denn wir betreten nun ein ungewohntes Terrain, in dem die beiden politischen Gruppierungen, die klassischerweise die Antipoden in der demokratisch wachen Auseinandersetzung eines Landes sein sollten, aufeinander zugehen. Ihre Stellung als Antipoden bedeutet eigentlich auch, dass der Bürger mit relativ geringen Veränderungen eine Chance hat, Regierungen zu verändern. Das ist nun einmal sein gutes Recht. Wenn diese sich aber zusammenfügen müssen, dann löst dies anfangs eine natürliche Reaktion aus. Will man die Antipoden ein Stück zusammendrücken, reagieren sie zunächst mit einem Abstoßungsreflex, den sie sorgen sich in den ersten Tagen über die Unvereinbarkeit der Standpunkte. Wir haben in der Demokratie eine relativ eindeutige Regel, welche Michael Glos neulich einmal so formuliert hat: „Die Bevölkerung kann sich neue Politiker wählen, aber die Politiker nicht ein neues Volk“. Deshalb haben wir mit den von der Gesellschaft gegebenen Randbedingungen zu arbeiten.
Ich sage das am Anfang ein wenig vorsichtig und zurückhaltend. Ich glaube, dass es sich jetzt, nachdem einige Wochen seit der Wahl vergangen sind, für alle lohnt, sich über die Erwartungen an die Politik und die Handlungsspielräume für die nächsten Jahre Gedanken zu machen. Dabei sollten wir im Auge behalten, was eigentlich bei der Wahl passiert ist. Soweit der Demoskopie noch etwas zu glauben ist, stellen wir fest, dass eine Menge Menschen überrascht und zu einem durchaus nennenswerten Teil auch verärgert sind über das Wahlergebnis. Allerdings auf die Frage, wie sie sich bei einer erneuten Wahl entscheiden würden, kommen 95 Prozent der Wähler wieder zum gleichen Ergebnis. An diesem Ergebnis hat sich, wenn man es einmal in Bezug setzt zu den groben Größenordnungen der Wahlen von 1998 über 2002 bis 2005, so gut wie nichts geändert. Teilweise haben sich die Adressierungen und Namen einzelner Gruppierungen und Aufspaltungen geändert. Die großen gesellschaftspolitischen Strömungen und Trends haben sich jedoch einfach fortgeschrieben. Ich glaube, es macht keinen Sinn, an dieser Tatsache vorbeizureden und zu glauben, dass es an der Wahlkampagne liegt oder das man an der einen oder anderen Stelle etwas falsch gemacht hat. Viele Personen haben einfach ignoriert, dass es durchaus Strömungen gibt, die mitten durch die Auseinandersetzung über die Gesellschaftspolitik unserer Zeit führen.
Da ich den Tag beim Mittelstand nicht dazu nutzen möchte, um eine vollständige Analyse der Wahl zu machen, glaube ich, dass es an diesem Punkt meines Vortrages sinnvoll ist, sich mit der Rolle des Mittelstandes zu beschäftigen. Nicht nur ich, sondern auch meine politischen Freunde und die Kollegen der Liberalen sagen den Menschen seit sehr vielen Jahren: „Unser oberster Wert ist die Freiheit“. Wir wollen, dass Menschen ihre Chancen nutzen. Wir glauben, dass jeder mit dieser Chance sein Leben selbst in die Hand nehmen kann und soll. Natürlich ist das immer auch mit dem Risiko des Scheiterns verbunden. Wir können aber nicht jedes Risiko gesellschaftlich absichern, denn sonst ist das Gewinnen der Chancen nichts mehr wert. Das heißt, wir müssen ein Land bleiben, in dem Freiheit, eigene Aktivität und Einschätzung der Möglichkeiten mit dem Ziel der Erweiterung seiner Handlungsmöglichkeiten, der Verbesserung seines Wohlstands und seiner individuellen Vermögens- und Lebenssituation verbunden ist. Jeder Mensch soll daher eben die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, ob er sich schneller oder langsamer bewegt, kreativer oder weniger kreativ ist, riskanter oder weniger riskant agiert und er dafür entsprechend eine Rendite bekommt. Das ist es, was ich mir immer noch erhoffe. Wenn einer nachts aufwacht und sich fragt, was die CDU denkt, dann soll er sich das in etwa vorstellen können. Er sollte sich sagen: „Das ist ein Stück unserer Grundphilosophie von Wirtschaft und Gesellschaft.“
Wenn Sie jetzt unsere Kollegen von der Demoskopie fragen, stellen Sie fest, dass inzwischen quer durch die Gesellschaft etwa 70 Prozent der Menschen in Deutschland mehr oder minder präzise glauben, dass sie in Zukunft schlechter dastehen werden als heute. Das beginnt beim Rentner, der Angst vor dem Sinken seiner Rente hat, und geht bis zu den jungen Menschen, die sich mit der Sorge plagen, dass sie nach der Schule keinen Ausbildungsplatz oder nach der Ausbildung keinen Arbeitsplatz mehr bekommen. Auch viele über 48-jährige sind sich nicht sicher, ob sie nach einem möglichen Verlust ihres Arbeitsplatzes noch eine Chance haben, in dieser Altersstufe neu vermittelt zu werden. Es geht soweit, dass die Mehrheit der deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Angst leben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Wahrscheinlich passen gerade hier diese beiden Dinge, Chancen und Ängste, nicht ausreichend zusammen. Wenn ich einem sage: „Nutze deine Chance!“, dann sagt er: „Da ist doch keine mehr“. Dann entsteht ein Bruch. Das gleiche passiert, wenn ich sage: „Nutze deine Freiheit, auch wenn sie Risiko enthält“. Die Antwort lautet dann oft: „Aber wahrscheinlich wird das Risiko zu 70 Prozent realisiert“. Dann beginnt er nach mehr Schutz, nach mehr Regulation zu suchen.
Ich glaube wir sind uns alle miteinander hier im Raum einig, dass Sie, die täglich unternehmerische Verantwortung tragen, nicht mit diesen Gedanken spielen. Würden Sie zu diesen 70 Prozent gehören, hätten Sie sicherlich längst Ihre Tätigkeit oder Ihren Beruf gewechselt. Wenn man in einer Demokratie für diese Rahmenbedingungen, die durch die eigene Anstrengung zum Erfolg führen, ein bisschen werben will, muss man sich mit diesem Phänomen befassen. So verrückt das klingen mag: Nach meiner Einschätzung ist diese Analyse eine mögliche Basis der Zusammenarbeit der beiden großen politischen Parteien, mit allen Schwierigkeiten und Risiken, die beide Antipoden dabei haben werden. Ich sage hier auch deutlich: Wir bleiben Antipoden! Wir werden zwar ein Stück gemeinsame Verantwortung tragen. Dabei wird es sich aber um eine vom Wähler erzwungene Zweckgemeinschaft handeln, die aber ihre Aufgaben erfüllen muss. Deshalb lohnt es sich in diesen Tagen zu fragen, was eigentlich der Zweck dieser Gemeinschaft ist. Seit gestern verhandeln wir das in großer Runde, was in kleinerem Kreise vorbereitet worden ist und erst ein wenig durch die personellen Dinge überschattet wurde. Dort stehen nicht nur die Kernfragen „Beschäftigung“, „Wirtschaftliche Perspektiven“ und „Wachstum“ im Raum. Natürlich muss man auch über Familienpolitik, Umweltpolitik und viele andere Fragen reden, denn der Staat hat eine Gesamtverantwortung. Ich glaube, dass im Augenblick unter den Verantwortlichen der beiden großen politischen Blöcke die Erkenntnis reift, dass es nur zusammen geht. Wenn wir an der Herausforderung scheitern, einer Mehrheit der Menschen wieder den Eindruck zu vermitteln, dass sie in Zukunft in der Gesellschaft eher eine Chance sehen müssen als ein Risiko, dann werden wir als große politische Parteien keine Chance zum Überleben haben, in welcher Konstellation auch immer. Einerseits werden die Sozialdemokraten von der linken Seite her angegriffen, was sie pessimistischer macht. Andererseits befinden sich die Christdemokraten mit ihren Ideen der verantworteten Freiheit und der Übernahme von Gestaltungsmöglichkeiten in einer schwierigen Position, wenn eine Mehrheit der Menschen in dieser Freiheit ein Risiko und keine Chance sieht.
Deshalb lohnt es sich für eine bestimmte Strecke, die wir vor uns haben, über die Frage nachzudenken: „Was können wir eigentlich gemeinsam tun, ohne zu behaupten, dass wir alle unsere Gegensätze und Widersprüche auf einmal vergessen und unsere unterschiedliche historische Herkunft leugnen. Wie können wir trotz dieser Gegensätze das Ziel erreichen, diesem Land ein Stück mehr Erwartung und Hoffnung zu geben, dass die Zukunft auch besser werden kann als der Status Quo ist. Obwohl es wie eine Banalität klingt, ist das ein unglaublich hoher Anspruch, der uns lange beschäftigen wird. Das gilt für alle Bereiche, die in diesen Tagen auf der Tagesordnung stehen. Wenn wir es nicht schaffen, Sie hier als Vertreter des Mittelstands in unsere Überlebungen mit einzubeziehen und sie zu motivieren, um diesen schwierigen Weg gemeinsam zu gehen, dann sind unsere Probleme nicht lösbar. Alleine mit Hilfe der Großindustrie können wir zukünftig Beschäftigungssicherheit und Wachstumsperspektiven selbst unter besten Umständen nicht gewährleisten, ohne dabei ihren Beitrag für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung Deutschlands gering zu schätzen. Eine solche Perspektive beginnt bei sehr banalen Dingen. Ähnlich wie in jedem Unternehmen gilt es ab einer gewissen Grenze auch für den Staat, dass die Kasse einigermaßen stimmen muss.
Deshalb haben wir auch in den gestrigen Gesprächen über Steuerreformen diskutiert, denn für alles, was wir tun wollen, wird die Frage nach der finanziellen Solidität eine wichtige Rolle spielen. Eine weitere zentrale Frage stellt die Überschuldung des Staates dar. Hier haben wir zum Glück einen anderen Erlebnishintergrund, weil die wirtschaftlichen Kriterien einer Überschuldung für einen Staat nicht gelten und das Kriterium der Liquidität durch entsprechende Materialbeschaffung zu überwinden ist. Die wesentlichen Gründe einer Insolvenz sind beim Staat so nicht vorhanden wie im privaten Unternehmen. Aber gerade das ist extrem gefährlich. Würde man mit den Maßstäben eines Wirtschaftsprüfern messen, wären nahezu alle Städten und Gemeinden, mit Ausnahme der drei südlichen Länder, Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen alle deutschen Bundesländer und selbstverständlich, stellvertretend für uns alle, die gesamte Bundesrepublik Deutschland insolvent. Einerseits kann man sagen: „Das ist ein interessanter Befund, aber das hat auch andere Länder in der Welt nicht geschert“. Andererseits kann man sich zumindest die Frage stellen, ob wir uns eine solche Überschuldung in Europa leisten können, gerade wenn wir in der Union eine gemeinsamen Währung voranbringen wollen, für die meine politischen Freunde und ich sehr gestritten haben. Deshalb sage ich sehr klar: Mich und in der Tat auch meinen Kollegen Peer Steinbrück hat dieses Thema in diesen Tagen und Stunden sehr beschäftigt, weil sich für jede wie auch immer geartete Konzeption die Frage stellt, wo zuerst gespart wird und wo man den ersten Nagel in die Wand haut. Wir in der Bundesrepublik Deutschland müssen im Jahre 2007 gesamtwirtschaftlich wieder die Kriterien des Stabilitätspaktes von Maastricht erfüllen. Da gibt es keine Ausrede mehr, denn dabei handelt es sich auch nicht mehr um einen Ausrutscher. Wir haben vier Jahre hintereinander die Kriterien des Stabilitätspakts nicht erfüllt und haben nun für das Jahr 2006 noch einmal die Kulanz der Europäischen Union in Anspruch genommen, weil es ausgeschlossen ist, das wir im Jahre 2005 die Haushaltsprobleme sozusagen mit einem Handstreich lösen. Wenn aber zwei große Parteien mit ihren Möglichkeiten zusammen hergehen und erklären, dass mittelfristig in Deutschland die notwendige Qualität, die für die Organisation einer gemeinsamen mehrstaatlichen Währung unentbehrlich ist, nicht wiederhergestellt werden kann, dann ist die Wirtschaftsführungsmacht Bundesrepublik Deutschland gescheitert. Das können wir uns nicht leisten. Deshalb ist der entscheidende Punkt, mit der Sanierung des Hauhalts anzufangen.
Ich meine den Satz sehr ernst. Wir werden mit ihm noch unseren Spaß haben, weil er Adam Riese zum dritten Partner am Koalitionstisch macht und das in einer außerordentlich unangenehmen Weise. Wenn man sich die momentane Lage ansieht, muss man feststellen, dass wir im Bundeshaushalt ein strukturelles Defizit von weit als 50 bis 60 Milliarden Euro haben und in den Bundesländern noch einmal eines in einer Höhe zwischen 25, 30 oder 35 Milliarden Euro. Wir leben in einer Zeit, in der es auf die einzelnen Milliarden nicht mehr so genau ankommt. Das heißt, wir reden über ein gesamtstaatliches Defizit, das inklusive der Städte und Gemeinden irgendwo zwischen 80 und 90 Milliarden Euro liegt. Da sind noch keine Investitionen getätigt und noch keine Straßen gebaut. Der Verteidigungshaushalt befindet sich beispielsweise im Augenblick in einer Lage, dass wir zwei Jahre Konventionalstrafen an unsere Rüstungsbeschaffer zahlen müssen, wenn wir nicht den Haushalt deutlich erhöhen. Man hat längst mehr ausgegeben als man in seiner eigenen mittelfristigen Finanzplanung eingestellt hat. Daher wird oft nachfinanziert, manchmal die Ware nicht bezahlt und an vielen anderen Stellen Druck zum Sparen ausgeübt. Es ist ja nicht so, dass alles in Ordnung wäre. Wer heute Politik macht, muss sich mit Fragen der Unternehmenssteuer, der Frage nach Steuerreformen und anderen Dingen befassen, da deren Salden in die Bilanz eingehen. Bei diesen Salden geht nicht alles in jedem einzelnen Bereich auf, denn dann wäre der Haushalt bewegungsunfähig. Das bedeutet, dass man eigentlich auf diesen Betrag eine ordentliche Milliardenzahl von acht, zehn oder 15 Milliarden zu schlagen hat, die zusätzlich konsolidiert werden müssen, um an anderen Stellen die Spielräume zu erhöhen. Das ist notwendig, denn wir wollen im Jahr 2007 nicht schuldenlos sein – wir wollen schon, aber wir können es nicht bis zum Jahre 2007 – sondern „nur“ wenigstens die Maastrichtkriterien einhalten. Damit die Sache nicht ganz so apokalyptisch klingt: Wir reden über eine Summe die für alle, Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungskasse, in einer Größenordnung zwischen 35, vielleicht auch 40 Milliarden Euro liegt. Das ist eine gewaltige Summe. Wenn es uns gelingt, dass dieser Nagel in der Wand bleibt, haben Sie jetzt schon den Spaß, uns in den Verhandlungen um diese Summe streiten zu sehen. Da kommt automatisch die Frage auf, ob man das alleine durch fiskalische Maßnahmen wie Einsparungen oder Steuererhöhungen erreichen kann oder ob wir damit im Bereich des klassischen Haushalts überfordert sein werden? Meine These ist: Wir werden zu dem Ergebnis kommen, dass wir dabei überfordert sind. Ich will hier nur noch einige Zahlen nennen und dann das Bombardement der Fakten beenden. Der Haushalt der Bundesrepublik Deutschland hat in diesem Jahr Einnahmen von ungefähr 190 Milliarden Euro. Das klingt nach einer ganzen Menge. Aber etwa 80 Milliarden davon leiten wir an die Rentenversicherung ab, etwas mehr als 40 Milliarden zahlen wir für „Hartz“ und über 40 Milliarden Euro brauchen wir für die Zinsen der aufgelaufenen Kredite. Das heißt, von den 190 Milliarden Euro sind schon 160 Milliarden Euro von vorne herein festgelegt, bevor wir überhaupt irgendeinen Menschen im Staatsdienst, vom Bundeskanzler bis zum letzten Pförtner, bezahlt haben. An diesem Punkt haben wir noch nicht über die Finanzierung der Bundeswehr oder über den Bundesgrenzschutz geredet. Auch unsere außenpolitischen Verpflichtungen oder die Entwicklungshilfe sind dann noch nicht mit eingerechnet, geschweige denn von der Finanzierung der Bildungspolitik zu reden. Da können Sie rechnen, was Sie wollen. In den restlichen 30 Milliarden Euro ist alles drin. Da das alles so nicht geht, nehmen wir 80 Milliarden Euro auf, was sich in dem strukturellen Defizit von 50 Milliarden niederschlägt. Die Voraussetzungen, um in diesem Defizit kurzfristig Veränderungen zu bewirken, werden nicht alleine im Haushalt liegen. Wir werden zwangsweise über die sozialen Sicherungssysteme diskutieren müssen. „Hartz“ ist in der Form, wie es gemacht wurde, nicht bezahlbar. Es fällt mir relativ leicht, darauf hinzuweisen, denn wir haben vorher darauf hingewiesen, dass wir Ende des Jahre 61 Prozent mehr so genannte Bedarfsgemeinschaften als zum 31.12. des vorherigen Jahres haben werden. Das bedeutet, dass die soziale Not ungeheuer gewachsen ist in diesem Land, was insbesondere bei 18-jährigen deutlich wird, die sich von ihren Eltern getrennt haben. Zugleich haben wir aber auch eine ganze Reihe interessanter Phänomene des Missbrauchs durch geniale Lösungen abgeschafft. Beispielsweise wird die Miete nicht mehr an den Mieter, sondern an den Vermieter direkt ausgezahlt, was interessante Konsequenzen auf die Zahlungsfristen hat. Wir werden das Thema erneut auf die Tagesordnung bringen. Es hilft uns nichts. Wenn Herr Müntefering in seinem Verantwortungsbereich nicht in der Lage wäre, mit weniger Bedarfsgemeinschaften zu wirtschaften, wird er sich schnell schon mit Herrn Steinbrück nicht mehr verständigen können, egal ob sie nun der eigenen Partei angehören oder nicht. Deshalb wird man auch über die Frage reden müssen, in welcher Weise wir wirtschaftliche Hoffnungen und Erwartungen hegen können. Wie Wachstum entstehen kann, wird auf einmal zur gemeinsamen Schicksalsfrage. Das ist nicht so, weil das Sozialdemokraten und Christdemokraten in ihrem Programm beschlossen haben. Das Ziel des Wachstums steht dort immer, auch wenn es mit unterschiedlichen Erwartungen verbunden ist. Wenn wir das strukturelle Defizit nur fiskalisch lösen müssten, würden wir diese Gesellschaft zunächst einmal ruinieren. Das ist dann eine Art von Sanierung, die man in einem Unternehmen durchaus machen kann, indem man die Gesellschaft erst auffängt und dann wieder aufbaut. Aber eine Auffanggesellschaft für die Bundesrepublik Deutschland, das ist keine schöne Vorstellung. Wir werden es also mit dieser Gesellschaft machen müssen und das bedeutet, dass wir an dieser Stelle sehr schnell auch notwendige wirtschaftliche Reformen brauchen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Jetzt lohnt es sich anzufangen, eine Reihe von Fragen zu diskutieren, die bisher von beiden großen Partnern eher tabuisiert wurden. Ich nenne nur einmal zwei, damit Sie eine Vorstellung haben, wie es mit dieser Diskussion weiter geht. Viele Unternehmer werden kritisiert, weil sie mit durchaus erträglichen Ergebnissen in ihren Bilanzen trotzdem weiterhin Personal abbauen. Das ist in einer Gesellschaft, in der 70 Prozent der Menschen Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, eine ziemlich riskante Veranstaltung, weil dies den alten Konsens, der zu Ludwig Erhards Zeiten einmal selbstverständlich war, zerstört: „Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es auch mir gut“. Viele sagen dann: „Denen geht es gut, weil es mir schlecht geht“. Trotzdem müssen wir aufhören, uns das gegenseitig vorzuwerfen. Wir sollten vielmehr versuchen, den Menschen rational zu erklären, was eigentlich passiert ist. Da gibt es Anhaltspunkte und dann auch Ansatzpunkte. Man muss bei den großen Unternehmen anfangen. Warum ist eigentlich die Börsenkapitalisierung eines Unternehmens in der Bundesrepublik Deutschland immer per se schlechter als an jedem anderen Platz der Welt? Wir sind im Vergleich zu den letzten acht Jahren bei der Börsenkapitalisierung des deutschen Unternehmers bei etwa 80 Prozent, während es in anderen westlichen Staaten dieser Wert auf 147 bis 148 Prozent gestiegen ist. Was ist da eigentlich passiert? Natürlich hat das nichts damit zu tun, dass deutsche Unternehmen schlechter sind als andere. Es liegt auch nicht daran, wie der Bundeskanzler noch meinte, dass wir das Land zu lange schlecht geredet haben. Der Fall liegt natürlich ganz anders. Wenn ich eine auf die Zukunft ausgerichtete Altersversorgungsgesellschaft aufbaue, investieren die Menschen ihr Geld für ihre zukünftige Altersversorgung selbst. Im Gegensatz dazu werden in einem Land, das seine Altersvorsorge aus der Vergangenheit finanzieren muss, immer höhere Schulden aufgetürmt um die heutigen Aktivitäten zu bezahlen. Wenn also in anderen Staaten die Menschen hohe finanzielle Erwartungen ansammeln, die sie später einmal verzinsen können und zur eigenen Versorgung nutzen, entsteht ein anderer Markt, der überhaupt bereit ist, sich an Unternehmen zu beteiligen. Die großen Unterschiede der Börsenkapitalisierung hängen zu einem nicht unerheblichen Teil daran, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland eine Struktur für Kapital geschaffen haben, in der das Kapital nicht daran interessiert ist, in börsennotierte Unternehmen zu investieren und damit hohe im Wettbewerb stehende Werte aus dem Binnenmarkt heraus zu schaffen. Das ist änderbar, zwar nicht von heute auf morgen, aber schon ein Signal in diese Richtung ist wichtig. Wir sind gerade wieder in einem Bereich aktiv geworden, der in den nächsten Jahren auch für viele mittelständische Unternehmen bei der Finanzierung wichtig ist, die ja nicht einfacher geworden ist. Ich spreche hier von den Strukturreformen der deutschen Kreditwirtschaft des letzten Jahrzehnts, insbesondere im Bereich der Immobilien. Wir sind ein Land mit einem unterentwickelten Immobilienmarkt, speziell wenn es um die Einbeziehung und Berechnung von Immobilien als Teil des Wertbestandes eines Unternehmens geht. Während wir schon wieder drei Jahre lang daran arbeiten, dies zu ändern, sind die Franzosen und die Briten gerade dabei, ihren Immobilienmarkt durch neue Gesetze zu modernisieren. Wenn wir es nicht endlich schaffen, die Immobilien in Deutschland entsprechend in Wert zu setzen, dürfen wir uns nicht wundern, dass wir eine Kapitalagglomeration in der Größenordnung eines dreistelligen Milliardenbetrags aus dem Land verlieren. Das trägt wieder dazu bei, dass die Wertschöpfung und die ökonomische Bewertung dessen, was wir in Deutschland machen, zurückgeht. Das betrifft längst nicht mehr die großen Unternehmen, sondern auch zunehmend den Mittelstand. Eine Änderung hier ist aus meiner Sicht ein ganz entscheidendes Element für die größeren Wünsche. Gerade für den Mittelstand ist es heute viel schwerer, Immobilien für neue unternehmerische Aktivitäten aus der Firma herauszunehmen, als das große Konzerne mit ihren internationalen Transfers können. Das ist zum Beispiel ein solches Element, über das man sprechen könnte. Ich hatte in den ersten Begegnungen den Eindruck, dass dies zum Beispiel ein Punkt ist, über den man miteinander reden kann. Die Frage, wie wir dafür sorgen können, dass Dinge, die in Deutschland etwas wert sind, im internationalen Maßstab nicht so niedrig bewertet werden, dass wir sie nicht dauernd schärfer nachschleifen müssen, um den gleichen Wert wie andere zu haben und uns die anderen nicht fressen können, das muss hier angesprochen werden. Wenn wir einfach nur mit der gleichen Leistung den gleichen Wert hätten wie andere, könnten wir sehr viel gelassener mit bestimmten Phänomenen in unserer Gesellschaft umgehen. Wir stünden nicht unter dem immensen Druck, selbst in besten Zeiten den Mitarbeitern das Signal zu geben, dass sie überflüssig sind. Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Löhne: Wir haben ein Gehaltsproblem in Deutschland, und vielleicht können wir uns in den nächsten Monaten hier in unseren Positionen annähern. Die Hauptschwierigkeit ist, dass eine Stunde, die Sie als Arbeitgeber bezahlen, in einem unerträglichen Verhältnis dazu steht, wie lange man arbeiten muss, um eine solche Stunde als Arbeitnehmer zu kaufen. Wahrscheinlich haben wir alle gemeinsam keine Phantasie dafür, dass man in absehbarer Zeit erreichen könnte zu sagen: Senken wir einfach einmal die Löhne. Es gibt eine Menge Bereiche, in denen dadurch Beschäftigung entstehen könnte. Es gibt aber auch andere Bereiche, in denen das gar nicht das alleinige Problem ist. Wenn wir beispielsweise allen Privathaushalten in Deutschland heute erlauben würden, sich als Unternehmen zu betätigen, dann hätte das bedeutende wirtschaftliche Auswirkungen. Wenn sie zehn Leute anstellen, können Sie diese heute von der Steuer absetzen, sowie einen weiteren, der das Kind und den Garten pflegt. Das ist an sich völlig egal und nicht unsere Sache, da es sich dann um eine Erwerbsgemeinschaft handelt. Das Problem, das wir damit heute haben, ist, dass einerseits dafür der Finanzminister zahlt und andererseits die Renten- und Krankenversicherung daran verdienen. Die Steinbrück-Rechnung bei dieser Geschichte ist gigantisch, da in einem 70/30-Verhältnis abgerechnet wird. Die Steuer zahlt 70 Prozent der Arbeitskosten, bekommt aber nur 30 Prozent von den Steuererträgen. Das ist ziemlich genau umgekehrt, wenn man sich den Bereich der Krankenversicherung anschaut, die ja nichts zu verlieren haben und durch den Transfer nur etwas bekommen. Das muss man lösen und das halte ich für intellektuell nicht ausgeschlossen. Dieses Problem ist ein klassisches großkoalitionäres Thema. Wenn ich der Sozialversicherung etwas wegnehme und es der Steuer zurückgebe, darf keiner schreien. Ich halte es nicht für unlösbar. Seit mindestens einem Jahrzehnt blockiert uns die Frage, warum wir ein gigantisches Ausmaß an tagtäglich erledigter Arbeit in Deutschland haben, die nur mit zwei Nachteilen behaftet ist: erstens kommt sie in keiner unserer Statistiken vor und zweitens werden alle Versicherungssysteme von den anderen gespeist und über Kreuz finanziert, so dass die Beteiligten das unbescholten machen können. Das kann und muss man ändern. Ich ende mit den beiden Beispielen, um Ihnen einen Einblick von meinem Verständnis der Sachlage zu vermitteln und was wir meiner Meinung nach in den nächsten Wochen machen müssen. Das ist eine ziemlich harte handwerkliche Tätigkeit. Eine große Koalition ist keine neue gesellschaftspolitische Dimension. Die wollte ich auch nicht. Eine große Koalition muss sich über eine genaue Beschreibung von Projekten unter einer exakten Übereinstimung der zu erreichenden Ziele definieren. Das muss auch noch in einer gegebenen Zeit geschehen, weil keiner daran glaubt, dass diese Veranstaltung 20 Jahre hält. Vor diesem Hintergrund bleibt dann die Aufgabe stehen, alle zur Verfügung stehenden Mittel zu beschreiben und sich auf handwerkliche Maßnahmen zu einigen, von denen ich vorhin zwei genannt habe. Zudem habe ich heute Morgen zusammen mit meinem ehemaligen Wirtschaftsminister der FDP ein neues Planungsrecht vorgestellt. Wir könnten zum Beispiel bei öffentlichen Infrastrukturprojekten das durchschnittliche Planungsverfahren durch verschiedene Veränderungen halbieren, ohne dabei eine materielle Prüfung wegfallen zu lassen. Natürlich werden auch dann alle Bedenken, von der Mopsfledermaus bis hin zur Wassergüte, weiter geprüft und angehört. Das bedeutet, dass ein normales Straßenbauverfahren nicht mehr zehn Jahre, sondern nur noch fünf Jahre braucht bis zur Realisierung. Auch das Kreisstraßenverfahren wird nicht mehr vier, sondern nur zwei Jahre dauern, indem man bestimmte Planungsschritte integriert. Ich sehe also durchaus eine Chance, dass wir aufgrund unserer praktischen Erfahrungen in einer großen Koalition bestimmte Dinge umsetzen können, die wir in einer anderen Konstellation nicht machen könnten. Ein praktisches Beispiel, wo sie in meinem Bundesland sehen können wie ich das meine, ist die Frage, wann der Flughafen ausgebaut wird und wann wir kurzfristig 40.000 zusätzliche Jobs haben werden, die am Ende auf 100.000 ansteigen können. Also 40.000 Jobs wären für Hessen schon in Ordnung. Wenn wir diese Jobs relativ schnell bekämen würde das natürlich in einer breiten Struktur die wirtschaftliche Entwicklung stimulieren und den Menschen einen Anreiz dazu geben, mit dem Ausbau des Flughafens in einer anderen Weise umzugehen. Das gilt ausdrücklich auch in Berlin. Leider ist die Entwicklung dort schon eine Stufe weiter, denn die Stadt Berlin ist bereits zum ersten Mal mit ihren Plänen vor dem Gerichtshof auf die Nase gefallen. Wir sind glücklicherweise noch ein ganzes Stück weit weg davon entfernt und zuversichtlich, dass wir diesen Schritt vermeiden können. Bei dem Bau der A 380-Halle haben wir es geschafft. Wir hoffen natürlich, dass uns das auch weiterhin gelingt. Auch dort kann man Signale setzen. Jetzt möchte ich auf eine andere Frage eingehen, die vorhin der Präsident gestellt hat und der ich nicht ausweichen möchte. Welche Bedeutung hat das alles eigentlich für den Bereich des Steuerrechts? Das ist keine einfache Frage, denn in diesem Bereich sind die Unterschiede nicht nur zwischen den beiden großen Parteien, sondern bei einem genaueren Blick auch innerhalb der jeweiligen Gruppierungen ziemlich groß und durchaus nicht unproblematisch. Sie haben in diesen Tagen gehört, dass die sozialdemokratischen Kollegen Steuerentlastungen ausgeschlossen haben, weil kein Geld dafür da sei. Da haben wir wieder den Nagel in der Wand. Dagegen zu argumentieren ist deshalb nicht so ganz einfach. Ohne Herrn Müntefering interpretieren zu wollen, muss man allerdings hinzufügen: Alle Beteiligten haben gesagt, dass es sich in der Summe rechnen muss. Wenn das auch unangenehm ist, so teile ich doch diese Einschätzung. Augenblicklich sehe ich in den Zahlenkolonnen, die ich Ihnen vorhin auszugsweise beschrieben habe, keine Chance, dass wir am Ende noch irgendetwas netto draufsatteln könnten. Das beantwortet jedoch keines der Probleme, sondern lässt weiterhin die Frage offen, wie viel Mehrwertsteuer uns eine Senkung der Lohnnebenkosten wert ist. Diese Frage können wir weiter diskutieren und erörtern. Der Logik gemäß muss ein Zusammenhang zwischen beiden Fragen bestehen, damit ich zwischen der Stunde, in der ich bezahlen muss und der Stunde, in der ich kaufe, nicht das Verhältnis zusammengeschrumpft wird. Dazu sind zwei Prozent bei der Bundesagentur für Arbeit eine durchaus relevante Größe. Mache ich es, oder mache ich es nicht? Das ist keine Frage des Stillstands von Politik, sondern eher eine Frage, wo wir eine neue Balance finden. Das gilt aus meiner Sicht auch ausdrücklich für die Unternehmensbesteuerung. In ihrer jetzigen Form ist sie ein absolutes Ansiedlungshindernis, dass auch für einen Mittelständler eine beträchtliche Belastung ist. Ich glaube, dass wir um die im Jobgipfel verabredete Frage der Erbschaftssteuer nicht mehr herumkommen und diese am Ende machen müssen. Vielleicht täusche ich mich da, aber meiner Einschätzung nach ist dieser Punkt nicht mehr strittig. Wir werden sie umsetzten, inklusive der im Jobgipfel vereinbarten Gegenfinanzierung. Meiner Meinung nach muss das auch schnell geschehen, denn durch das halbe Jahr, das wir durch den politischen Stillstand in Berlin verloren haben, ist uns ein Teil der Gegenfinanzierung weggelaufen. Fonds sind halt cleverer als Steuergesetzgeber. Insofern müssen wir aufpassen, dass uns die Gegenfinanzierung nicht dahinschwindet, weil man zu lange darüber geredet hat. Genau aus diesem Grund besteht an dieser Stelle Handlungsbedarf. Aber auch die Unternehmenssteuer stellt eine Herausforderung dar, denn erstens müssen die reale Besteuerung und die nominalen Sätze in eine einigermaßen vernünftige Form einander angenähert werden, um dann zweitens dafür zu sorgen, dass wir keine Rechtsform gesondert dadurch bestrafen. Wie jeder hier Anwesende weiß, sind beide Aufgaben nicht einfach umzusetzen, weil der Satz, man muss einfach einmal dafür sorgen, dass die erhobene Steuer tatsächlich in die Steuerliste gezahlt wird, in der Realität bedeutet, dass ich sehr viele Entlastungstatbestände abschaffen muss, um den real gezahlten Steuersatz an den nominal geforderten anzupassen. Die Arbeit an dieser wichtigen Frage wird uns allen bestimmt keine Freude bringen. Ich sehe in diesen Tagen die ersten Aufsätze, die sich mit der Frage einer degressiven Anpassung von nominaler und realer Besteuerung beschäftigen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Differenz zwischen nominaler und realer Steuer resultiert aus den zeitversetzten Zinshilfen, die der Staat den Unternehmen gewährt. Die Dinge werden sich also begegnen. Ich glaube, dass wir eine Annäherung finden werden, die nicht weit entfernt ist von dem, was auf dem Jobgipfel besprochen wurde. Meiner Meinung nach muss man bei diesen Dingen nicht prinzipiell hinter die Abmachungen des Jobgipfels zurückgehen. Man muss sich noch genauer anschauen, ob das zum gleichen Zeitpunkt wie die anderen Reformen gemacht wird und in welcher Struktur es umzusetzen ist. Dies hängt aber auch von einer zweiten Frage ab: Schaffen wir es, zu einer einigermaßen rechtsformneutralen Besteuerung zu kommen? An diesem Punkt will ich Sie jetzt nicht quälen, denn spätestens hier werden Sie alle im Saal nach Ihren Steuerberatern rufen, da wir hier unweigerlich die abstrakte Diskussion verlassen und in ein extrem schwieriges Thema einsteigen würden. Persönlich sage ich Ihnen: Ich möchte die Personengesellschaften nicht in die GmbH treiben. Meiner Meinung nach ist die GmbH zwar eine deutsche Besonderheit, die aber richtig genutzt auch ihre Qualitäten hat. Wir haben heute hier sehr viel über Personengesellschaften gesprochen. Ich glaube, dass wir bei allen Zwängen, unter denen wir im Augenblick stehen, die Zuwendung der Personengesellschaft hin zu Renditeerwartungen und tagesaktuellen Prognosen ein Stück gelassener sehen müssen. Wir müssen aber oft die Härte des Rechts anwenden, weil wir heute die Unsitte haben, dass Staatsanwälte als Vertreter eines Großaktionärs in Unternehmensentscheidungen sehr differenziert eingreifen. Da sitzt dann einer, der nur ein anonymes Kapital verwaltet. Dieser steht dann immer vor einem Dilemma. Verzichtet er auf eine Rendite stärkende Maßnahme, wird er über kurz oder lang seinem shareholder untreu. Im Gegensatz dazu ist der persönliche Unternehmer von seiner eigenen Vermögensdisposition abhängig. Selbst wenn das nicht jeden Tag so scharf ist, wie das manchmal in der Zeitung dargestellt wird, steht ein solcher Unternehmer vor einer ganz unterschiedlichen Fragestellung. Es ist ein Stück Kultur, um das es sich meiner Meinung nach zu kämpfen lohnt. Das wird es uns allerdings nicht leichter machen, denn alles, was wir bisher gesehen haben, macht die Vergleichbarkeit schwierig. Ich sehe auch in dem, was in den letzten Wochen vorgestellt worden ist, hoffnungsvolle Ansätze. Ich sehe aber auch eine Menge Konkurrenzen. Gerade die Stiftung Marktwirtschaft hat durchaus interessante Ideen entwickelt, bei denen man noch über die Details diskutieren muss. Diese Diskussion muss bis zu dem gehen, was mein Finanzminister über die Frage der Kapitalabgeltung und Kapitalrenditebesteuerung gesagt hat. Das führt durchaus zu ähnlichen Effekten und ist gleichzeitig ein Entlastungsschritt für Unternehmer bei der Gewerbesteuer. Es gibt also Modelle bei denen wir weiter vorankommen werden. Je schneller wir in der Koalitionsvereinbarung dort Fortschritte erzielen, umso eher kann man das mit den auf dem Jobgipfel vereinbarten Schritten verbinden. Je aussichtsloser dieses Unterfangen aber wird, umso eher muss man etwas bei der Körperschaftssteuer machen. Wenn ich aber etwas an der Körperschaftssteuer verändere, stehe ich wieder vor dem Dilemma, dass ich in Wahrheit immer Personengesellschaften vernichte. Deshalb möchte ich gerne zu einer Regelung kommen, welche die Rechtsformenfairness in einem deutlich größeren Umfang beinhaltet als das zurzeit der Fall ist. Das wird sicherlich nicht in den Schlagzeilen der Tageszeitungen stehen, aber trotzdem eine der spannenden Fragen unseres gemeinsamen Gesprächs sein. Danach kommt dann die Reform der Einkommenssteuer. Das wird eine harte Diskussion geben. Wie Sie wissen, glauben wir, dass auch dort eine Absenkung notwendig ist. Das gilt umso mehr, solange wir die Personengesellschaften nicht rechtsformenneutral besteuern. Die Sozialdemokraten widersprechen dem. Das sind die Themen, mit denen sich die Parteivorsitzenden in den letzten Stunden zu beschäftigen haben und wobei ich ihnen viel Vergnügen wünsche. Bei diesen Dingen bin ich eher ein vorsichtiger Vorarbeiter. Schauen wir einmal, was dann dabei herauskommt. Meine Damen und Herren, ich glaube aber, dass es möglich ist an dieser Stelle der Steuerpolitik zu zeigen, dass wir uns auf dem Weg der internationalen Entwicklung befinden. Zum Schluss will ich deshalb einen Gedanken mit Ihnen teilen, der uns zu einer Entscheidung führen muss: Wir haben sehr lange in Deutschland geglaubt, dass wir ein einheitliches Steuerrecht haben. Wir besteuern also alles gleich, unabhängig davon, ob einer Geld am Kapitalmarkt verdient hat und jetzt daher Kapitaleinkünfte hat, ob er durch seine Hände Arbeit ein persönliches Arbeits- und Erwerbseinkommen erhält oder ob er es durch unternehmerischer Tätigkeit im In- und Ausland erwirbt. Das war in einer nicht globalisierten Welt alles richtig. Ich möchte aber etwas klar sagen, von dem ich weiß, dass es in meiner Partei noch nicht alle so sehen: unser Steuersystem ist heute nicht mehr angemessen. Ich glaube, dass wir im Bereich der Arbeitseinkommen nach wie vor eine soziale Staffelung haben werden. Lassen wir einmal die Flat-Tax-Debatte weg, die alle Beteiligten für einen progressiven Ansatz halten. Ich glaube, dass wir weiterhin eine Staffelung in der Steuerlast als Stellschraube für das gesellschaftliche Leben brauchen. Ausgehend von dem unterschiedlichen Vermögensstatus muss jeder einzelne einen unterschiedlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Gemeinwesen leisten, und zwar nicht nur in absoluter Höhe, sondern auch in relativer Höhe. Ein anderes Modell der Besteuerung würde aufgrund unserer politischen Traditionen zu viele Fragen aufwerfen. Ich möchte beispielsweise nicht, dass wir am Ende von der Gerichts- bis hin zur Bestattungsgebühr alles sozialabhängig machen. Ich wünsche mir eigentlich, dass wir die zentralen Punkte bis hin zur Gesundheitspolitik angehen. Wir müssen an einem Punkt anfangen, den sozialen Ausgleich herbeizuführen und zugleich in den übrigen Punkten bereit sein, den fairen Preis dafür in Kauf zu nehmen, ohne jedes Mal eine soziale Steuerung direkt hinterher zu schicken. Das geht auch in vielen Bereichen, aber leider funktioniert es nicht mehr bei den unternehmerischen Steuern. Die erwirtschafteten Einkünfte eines Unternehmens sind heute einem internationalen Wettbewerb ausgesetzt. Daher sind wir dort auch als Staat ein Unternehmer geworden. Ähnlich einem Unternehmen müssen wir genau den Punkt des Grenznutzens definieren, an dem wir das abwägen können, was wir von einem Unternehmen vor seinem Weggang noch maximal bekommen können, mit dem, was ein Unternehmen hier aufgrund der vergleichsweise höheren ökonomischen Attraktivität eines anderen Standorts zurücklässt. Diesen Schnittpunkt müssen wir finden. Das hat auch nichts mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Wenn beispielsweise der österreichische Finanzminister Grasser anfängt Pirouetten zu drehen, um die unternehmerischen Rahmenbedingungen in seinem Land zu verbessern, kann es sein, dass wir darauf reagieren müssen. Das ist keine Frage des Verstoßes gegen die Gerechtigkeit, sondern ein rein ökonomisches Verhalten. Ich glaube, dass Kapitaleinkünfte in diesem Zusammenhang mehr Einkünfte aus unternehmerischer Tätigkeit als Einkünfte aus der Erwerbsarbeit sein sollten, so schwierig das der eine oder andere auch finden mag. Deshalb glaube ich auch, dass mit der Kapitalabgeltungssteuer vielleicht sehr bald ein erster Schritt gemacht wird und an dieser Stelle ein vernünftiges Signal setzt. Aus diesem Schritt kann sich dann langsam das entwickeln, was die Fachleute als die Harmonisierung des Steuerrechts bezeichnen würden. Wenn man vor die Frage gestellt wird, was man den Unternehmern, die täglich Entscheidungen zu treffen haben, über den Zustand der Gesellschaft und der Parteien sagen soll, ist man hin und her gerissen. Man kann beispielsweise flammende Reden halten, aber das haben Sie in den vorherigen Monaten zu genüge geboten bekommen. Man kann jedoch auch versuchen eine neue Vision der sich eröffnenden Gesellschaftsperspektiven zu entwickeln. SPD und CDU sind aber kein „Projekt“ wie die vorherige Rot-Grüne Regierung, die sich immer selbst so verstanden hat. Wir sind eher dem Dienst an der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger verpflichtet, die uns zur Bildung dieser Regierung beauftragt haben. Mich persönlich treibt dabei die Einschätzung an, dass ich etwas von dem Versuch halte, eine große Koalition zu bilden, und es als meine Verantwortung verstehe, die Interessen meines Bundeslandes in Berlin zu vertreten. Ich bin dabei in einer relativ bequemen Situation und muss politisch nichts beweisen, weil wir in Hessen die absolute Mehrheit haben. Da müssen sie niemanden anderen fragen, bevor sie etwas kommentieren. Wir wissen wohl, dass das nicht ewig so ist und jeweils in demokratischen Auseinandersetzungen neu erworben werden muss. Daher stellt sich immer die Frage: Wie redest du über die Dinge, beispielsweise mit der Opposition? Ich war gestern Abend das erste Mal in der SPD-Parteizentrale. Dass mir das auch noch mal in meinem Leben passiert, hätte ich nicht gedacht. Was macht man nun in einer solchen Situation? Es wäre euphorisch und auch übertrieben zu behaupten, dass ich mich schon immer danach gesehnt hätte, die SPD-Zentrale von innen zu sehen. Sie alle tragen unternehmerische Verantwortung und müssen Tag für Tag Entscheidungen unter dem Gesichtspunkt treffen: Ist das der Abgrund oder ist das eine Hoffnung? Mit was kann ich rechnen? Aus diesem Grund wollte ich in einer vergleichsweise trockenen Darstellung versuchen, Ihnen eine Grundlage für diese Antwort zu geben. Ich opfere im Augenblick meine Zeit für den Weg zwischen Wiesbaden und Berlin auf, um mit meinen Möglichkeiten und Ratschlägen dazu beizutragen, dass aus der großen Koalition ein zwar ziemlich trockenes, aber deshalb keineswegs zur Erfolglosigkeit verurteiltes Projekt wird.
In dieser Koalition können wir die Werkstücke in Angriff nehmen, die wir bisher liegengelassen haben. Wir können dann unsere gemeinsamen Fähigkeiten auf die zentralen Stellen konzentrieren, ohne uns gegenseitig zu verletzen. Am Ende können wir durchaus den Mut haben, bestimmte Dinge auch liegen zu lassen, weil wir in einer solchen Koalition nicht alles heben können. Andernfalls wären wir eines dieser visionären Projekte. Es ist viel wichtiger das diejenigen, die uns beobachten, die Frage „lohnt es sich, denen eine Chance zu geben?“ eher mit „ja“ als mit „nein“ beantworten. Am Ende einer solchen gemeinsamen Arbeit muss die Zahl der Menschen überwiegen, die glauben, dass sich auf der Basis unserer Arbeit ihre eigene Zukunftsbeurteilung verbessert hat. Die Zahl derjenigen, die sagen „wir haben eine Chance, wenn wir uns mitbewegen“ muss größer sein als die Gruppe derer, die sagen „am meisten nutzen wir uns, wenn wir still stehen bleiben“. Das sind die beiden Elemente. Glauben Sie bei Ihren für dieses Land so existenziellen unternehmerischen Entscheidungen daran? Glaubt es eine Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, dass sie sich für die Wiedergewinnung des Mutes bewegen muss? Das ist die Aufgabe Angela Merkels, die ich hier zu vertreten hatte und die sich CDU/CSU und SPD zusammen vorgenommen hat.
Ich bin mir nicht sicher, dass wir das alles schaffen. Ich glaube aber, dass es eine große Chance für den Erfolg gibt. Es wäre verantwortungslos gegenüber den Menschen in unserer Demokratie, wenn wir nicht alle unsere Kraft und unseren Verstand zusammennehmen würden, um es ernsthaft zu versuchen. Vielen herzlichen Dank.