Laudatio von Herrn Ministerpräsidenten Roland Koch an den Dalai Lama
Es gilt das gesprochene Wort.
Eure Heiligkeit, Herr Landtagspräsident, sehr geehrter Herr Starzacher, Frau Bundestagsvizepräsidentin, verehrte Gäste, meine sehr verehrten Damen und Herren,
wer in diesen Tagen Zeitung liest, der wird sehr schnell erkennen, es fallen und es explodieren an so vielen Plätzen der Welt immer wieder Bomben. In Ägypten versucht man die Rechte der Präsidentenwahl auf den Einsatz von Bomben anders zu gestalten. Täglich sterben in Bagdad junge Iraker, die sich gemeldet haben Polizisten zu werden, auf dem Weg in eine Demokratisierung des Landes. Über Jahre hinaus sind unsere britischen Nachbarn Opfer des Selbstbestimmungs- oder vermeintlichen Selbstbestimmungskampfes der irisch-republikanischen Armee geworden und jetzt haben sie wieder so viele Opfer zu bringen gehabt. Aber auch in geringerer Dimension, fast schon sind wir daran gewöhnt, in Korsika brennen immer wieder Polizeistationen. In den türkischen Ferienregionen explodieren wieder Bomben der kurdischen Freiheitskämpfer. Und vielleicht sollten wir Europäer uns noch in Erinnerung rufen, dass es erst Ende der 80er Jahre war, dass in Südtirol die letzte Bombe der Südtiroler Freiheitskämpfer vor der italienischen Radiostation explodierte. Eigentlich ist der Weg von Völkern, die um ihre Selbstbestimmung kämpfen, mit Bomben gepflastert.
Wir verleihen heute hier einem Mann den Hessischen Friedenspreis, der in einer – so empfinde ich es – für unsere moderne Welt ungewöhnlichen Weise kompromisslos das exakte Gegenteil dieser Entwicklung repräsentiert. Für einen einzelnen Menschen mag das ein Zeichen besonderer Größe sein, für einen Mann, der zugleich religiöser Führer und nach wie vor auch die weltliche Leitfigur eines Volkes ist, das sich diesen Prinzipien auf seinen Rat hin unterwirft selbst in größter existenzieller Not, das ist eine bewundernswerte Verhaltensweise. Tibeter in Tibet und im Exil verzichten seit Jahrzehnten auf Gewalt, sie werfen keine Bomben, sie versuchen nicht die Struktur des Landes, in dem sie mehrheitlich leben, zu unterminieren, ja, sie haben sogar für lange Zeit auf die öffentliche Aufmerksamkeit für des Leidens ihres Volkes verzichtet.
Ist das eigentlich den Preis wert? Ein Volk, bedroht in seiner religiösen und kulturellen Identität, bäumt sich nicht auf, leistet keinen offenen Widerstand, lebt in religiöser Demut mit seinem Schicksal. Schläfert diese Gelassenheit ein, anstatt zum Kampf für das eigene Volk zu motivieren? Ist denn nicht bewiesen, dass Bomben der erfolgreichere Weg der Befreiung sind?
Wenn wir Sie Eure Heiligkeit, heute mit dem Hessischen Friedenspreis auszeichnen, dann wollen wir darauf unsere Antwort geben. Ich habe heute die Ehre, auch im Namen des Kuratoriums der Albert-Oswald-Stiftung, die gemeinsam mit der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung an der Entscheidung für die Verleihung dieses Preises beteiligt war, die Laudatio zu sprechen. Ich weiß aus all den Gesprächen und Beratungen, dass wenn hier über Frieden und Friedenspreis gesprochen wird, damit keineswegs einfach über den Begriff Frieden als die schlichte Abwesenheit vom Krieg gesprochen wird. Keine Bomben zu werfen, keine Waffen zu benutzen und Demut zu zeigen ist allein und für sich kein Grund, den Friedenspreis zu bekommen. Denn bei allem Respekt vor der Friedfertigkeit eines Volkes auch die, die ihn jetzt verleihen, Sie wissen, ein Volk hat ein Recht zu leben, hat ein Recht auf kulturelle Identität und religiöse Selbstbestimmung, das sind grundlegende Menschenrechte, die jedermann zustehen und für die jedermann das Recht hat, zu kämpfen.
Wenn es doch uns ein so großes Anliegen ist, denjenigen zu ehren der diesen friedlichen Weg beschritten hat, wenn ich heute die Chance habe – und das ist auch für mich persönlich nicht nur eine große Ehre, sondern auch eine Genugtuung – Sie in dieser Weise zu ehren, dann ist das eben die Chance für uns hier in Europa, in Deutschland, in Hessen, über diesen ungewöhnlichen Weg diese Reche eines Volkes zu erkämpfen, offen zu sprechen. Ein Weg, der ausdrücklich nicht Kapitulation bedeutet, denn nichts wäre ein größeres Missverständnis über die wahren Absichten des Dalai Lama und der Tibeter, als anzunehmen, dass sie sich in ihr Schicksal fügen wollten. In unserer heutigen Zeit sind die Tibeter das Volk, das trotz ernsthafter Bedrohung den friedlichen Kampf um die Sympathie der Welt und die Anerkennung durch die territoriale Macht China aufgenommen hat.
Und um es klar zu sagen, Sie, Eure Heiligkeit, haben seit vielen Jahren, und es ist hier schon erwähnt worden, unmissverständlich deutlich gemacht, es geht dabei unabhängig aller Interpretationen der Staatlichkeitsgeschichte darum, die Selbstbestimmungsrechte der Tibeter in ihrem Lebensraum zu gestalten. Sie haben die Integrität der chinesischen Staatsgrenzen zur Grundlage Ihrer Gespräche gemacht, und den Weg einer friedlichen Koexistenz Ihres Volkes innerhalb des chinesischen Staatsgebietes zum Gegenstand der Verhandlung. Dieses in Klarheit auszusprechen ist eine der Voraussetzungen für den Erfolg Ihrer Bemühungen um eine friedliche Verständigung.
Aber wer die Bedeutung und Dimension der Friedfertigkeit Ihrer Bestrebungen korrekt beschreiben will, der muss die Herausforderung beschreiben, die auch in dieser Friedfertigkeit steckt, der muss über Bedrohungen und Schwierigkeiten für Ihr Volk sprechen. In den letzten Jahren hat die chinesische Regierung so viele chinesische Bürger in die tibetischen Regionen umziehen lassen, dass die Tibeter heute in ihrer angestammten Heimat eine nationale Minderheit sind. Bis zum heutigen Tag ist die Ausübung der tibetischen Religion und die Verehrung des religiösen Führers, des Dalai Lama, innerhalb der chinesischen Staatsgrenzen dem tibetischen Volk praktisch nicht möglich. Das Erlernen der tibetischen Sprache ist schwierig und wird von den Autoritäten nicht respektiert. Die meisten Klöster des Landes – und vergessen wir nicht, die Tibeter sind eben ein Mönchsvolk – sind zerstört, die verbliebenen sind politisch gleichgeschaltet und unterliegen striktester staatlicher Kontrolle.
Jährlich, und jeder von uns kann glaube ich im Herzen ermessen was das bedeutet, jährlich entscheiden unzählige Eltern im tibetischen Staatsgebiet Chinas, ihre Kinder ohne Begleitung über schwierigste Wegstrecken – und oft ohne jede Chance, sie wieder zu sehen – ins indische Exil zu schicken. Dort gelingt es der tibetischen Exilregierung mit Hilfe der internationalen Förderer und mit einer sehr großzügigen und außerordentlich dankens- und anerkennenswerten Unterstützung der indischen Regierung, diesen jungen Menschen tibetische Sprache, Kultur und Religion auch an die nächste Generation weiterzugeben. Was muss im Herzen von Eltern vorgehen, dass sie sich so bedrängt fühlen, eine solche Entscheidung zu treffen.
Und, meine Damen und Herren, diese Beschreibung ist abstrakt. Im wahren Leben in der Heimat, in dem was der Dalai Lama berichtet bekommt, geht es um Gefängnis, um, Vergewaltigung, um Verschleppung und um Tod. Und es wäre nicht redlich über diesen Friedenspreis heute zu sprechen, ohne in aller Offenheit auch die chinesische Regierung zu fragen, wo denn der mit der religiösen Autorität des Dalai Lama ausgewählte Panchem Lama geblieben ist, ob er lebt und wo er lebt und wie er erzogen wird. Immer wieder wird die Liste der Namen derjenigen länger, die Verantwortung in den Klöstern trugen oder sich zu den Interessen des tibetischen Volkes in der Öffentlichkeit geäußert haben und deren Verbleib wir nicht kennen.
Eure Heiligkeit, meine persönlichen Begegnungen in den vergangenen Jahrzehnten mit Ihnen haben mich gelehrt, dass Sie innere Empörung und äußere Erregung sehr wohl von einander zu unterscheiden wissen. Die Gelassenheit, die Sie häufig zeigen, heißt nicht, dass Sie irgendetwas von dem was Sie gesagt haben kalt ließe. Im Gegenteil, ich weiß, es frisst an Ihrem Herzen, und bei allem religiösen Gebundensein an die Vorausgebung des Schicksals, es ist eine große Herausforderung. Und trotz alledem gibt für Sie nur einen Weg, den Weg der kompromisslosen Friedfertigkeit. Aber dieser Weg der kompromisslosen Friedfertigkeit hat zu jeder Zeit ein ebenso klares Ziel. Das tibetische Volk soll in Freiheit seine Religion und seine Kultur leben und seine Sprache sprechen können. Es soll respektiert werden von den staatlichen Autoritäten und soll die Chance haben, innerhalb des chinesischen Staatsgebietes seine eigenen Angelegenheiten selbst zu verwalten.
Sie haben uns durch Ihr Wirken und Ihr Leben vor Augen geführt, dass im Zentrum des Handelns immer der einzelne Mensch steht: Der suchende, der fragende, der sich in Freiheit entscheidende Mensch. Sie haben nie aufgehört, diesen, den einzelnen Menschen in das Zentrum der Überlegungen zu stellen. Das Plädoyer für Gewaltlosigkeit und das Bild vom Menschen, beides hängt wesentlich zusammen. Sie haben das Streben nach Glück, den Wunsch, in Frieden und Freiheit zu leben, als das Grundbedürfnis bezeichnet. Und in einer berühmt gewordenen Rede von der Menschenrechtskonferenz der UN 1993 schon gibt es den Satz: „Ich bin überzeugt“, sagen Sie, „dass das fehlende Verständnis für das wahre Glück, der Hauptgrund ist, warum Menschen einander Leid zufügen“. Und weiter, und ich glaube, dies ist einer der Schlüsselsätze: „Wer anderen Leid zufügt, und ihren Frieden und ihr Glück verletzt, schafft auf lange Sicht nur Bedrängnis, Furcht und Misstrauen gegenüber sich selbst.“
Und wenn Sie von Leid und Bedrängnis sprechen, dann wissen Sie wovon Sie sprechen, Sie haben es durch Flucht und im Exil selbst als Preis gezahlt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte Gäste, viele, viele die uns auch in unserem Land begegnen sagen natürlich auch, das ist doch alles weit weg, das ist auf einem anderen Kontinent, so etwas kommt in der Geschichte der Welt nun einmal vor. Der Hessische Friedenspreis wird heute auch deshalb an den XIV. Dalai Lama verliehen, weil wir jedermann vor Augen zu führen wollen, dass diese These falsch ist. Das Bekenntnis zu Frieden in größter Bedrängnis, das ist eine Lehre auch für uns, sie ist, um wieder mit der Sprache des Dalai Lama zu sprechen, universell.
Und es gehört ja gerade zu den leidvollen Erfahrungen des gerade abgelaufenen 20. Jahrhunderts, gesehen zu haben, wie schnell der Mensch des Menschen Wolf werden kann. Wir haben in den Abgrund gesehen und versucht, Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Auch die: Frieden und Sicherheit brauchen Schutz.
In unserem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahre 1949 und in der Verfassung unseres Bundeslandes haben wir auch den Menschen ins Zentrum gestellt. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie bedarf unseres besonderen Schutzes. Ausnahmslos alle Menschen haben ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben, auf Freiheit und Selbstbestimmung. Und es reicht nicht, den Staat mit hinreichenden Instrumenten zum Schutz vor Willkür und Gewalt auszustatten. Wir wissen heute, es kommt auf den einzelnen Menschen an, es kommt darauf an, ob er Zivilcourage hat. Und die Erfahrung lehrt uns, dass das nicht immer sehr viele sind in einem Land, die über diese Zivilcourage verfügen, ja, bis auf ihr Leben alles für die Freiheit einsetzen. Sie, Eure Heiligkeit, haben einmal gesagt: „Ich“ – so sagen Sie – „glaube wirklich, dass einzelne Menschen in der Gesellschaft etwas verändern können.“ Ich glaube, dass Sie ein Beweis, Sie selbst ein Beweis für diese These sind. Und Sie haben hinzugefügt: „Ich habe stets daran geglaubt, dass Gewalt nichts als Gegengewalt erzeugt. Sie trägt wenig zur Lösung von Konflikten bei.“ Vielleicht ist interessant, dieser Satz, den ich eben zitiert habe, stammt aus dem Jahr 1989, einem entscheidenden Jahr der Geschichte und nicht nur auf unserem Kontinent. Dieses Jahr ist das Jahr, in dem Sie den Friedensnobelpreis erhalten haben. Es ist aber auch das Jahr, in dem wenige Monate zuvor die Tragödie, die blutige Tragödie auf dem Platz des himmlischen Friedens stattgefunden hat. Und es ist das Jahr, als in Ost-Mitteleuropa die Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie auf friedlichem Wege die Ketten der Diktatur sprengte.
Was bei uns in Europa 1980 mit den politischen Entwicklungen der Gewerkschaft Solidarnosc auf der Danziger Leninwerft begann, führte 1991 zum Zusammenbruch der Sowjetunion, zum Durchbruch der Demokratie in Ost- und Mitteleuropa und zur friedvollen Vereinigung unseres Landes.
Frieden ist stärker als Gewalt. Doch ein Selbstläufer ist Frieden nicht. Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat einmal in diesem Zusammenhang geschrieben: „Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks. Die Perioden des Glücks sind leere Blätter auf ihm. Doch manchmal kennt die Geschichte in ihren vermeintlichen Launen plötzlich Wendungen, die in den wahren Zielen und Werten unerwartete Geltung sehen.“ Das Jahr 1989 markiert einen solchen Platz, an dem die vermeintlichen Launen und plötzlichen Wendungen den wahren Zielen und Werten in unerwarteter Weise Geltung verschaffen. Darf man nun darauf hoffen, dass die Friedfertigkeit und das Streben nach Glück, der gemeinsame Wille eines Volkes zu überleben und die vermeintlichen Launen und plötzlichen Wendungen der Geschichte eine Konvergenz eingehen können, um auch Ihre und das Ziel erreichen lassen? Sie, Eure Heiligkeit, sind den Weg den Sie eingeschlagen haben, von den Zeitläufen scheinbar unbeeinflusst gegangen. Dafür steht Ihre selbst gewählte Devise: „Gib nie auf, entwickle Dein Herz, sei mitfühlend und setze dich für den Frieden ein, in deinem Herzen und für die Welt.“
Nun, in der Welt in der wir leben, in einer schnelllebigen Welt, die von Widersprüchen und Ungerechtigkeiten gekennzeichnet ist, ist ein solches Leben beeindruckend, ungewöhnlich, und persönlich sehr einnehmend, wie Sie rund um den Globus wissen. Es ist auch eine Verbindung zwischen Spiritualität und Diplomatie, Sie üben Führung aus, indem Sie lehren, was es heißt, Menschen zu dienen. Seit 1959 im Exil, gehen Sie ihren Weg, den Weg der Gewaltlosigkeit und des Friedens. Und Sie gehen ihn mit Konsequenz und Sie haben dabei stets ein Lächeln auf den Lippen.
Sie reihen sich damit ein in eine Reihe bedeutender Wegbereiter friedlichen Wandelns: Von Mahatma Gandhi, den Sie selbst als Vorbild erwähnen, über Carl von Ossietzky, Martin Luther King und Andrej Sacharow. Ganz unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Kulturen, mit einem gemeinsamen Weg. Doch, meine Damen und Herren, erneut, und lassen Sie es uns nicht vergessen, auch in diesen Stunden werden Bomben gebastelt und sind Menschen in ihrem Fanatismus bereit, sich selbst zu Bomben zu machen. Die Welt ist nicht friedlich.
Ist die Vorbildfunktion die der Dalai Lama ausübt etwa eines seligen Blickes in die Welt des Traumes hinein, gelebte? Ist die Erhaltung der Kultur, der Religion, der Sprache für ein Volk das nicht mehr viel Zeit hat, und trotzdem auf die Waffen verzichtet, nicht zu gefährlich? Und wer entscheidet das?
Und genau hier, genau da kommen die religiösen und die politischen Überzeugungen des Dalai Lama zusammen. Das ist der Mittelpunkt dessen was seine Botschaft ist. Und hier schließt sich der Kreis. Und hier kommen wir ins Spiel. Der Dalai Lama sagt uns, dass die Existenz seines Volkes in den Händen des universellen Menschen liege. In seinen Fähigkeiten, nach Glück zu streben, in seinem Willen Freiheit zu schaffen. Ja, in seinem Willen Freiheit zu schaffen und hiermit trifft er auch uns, trifft er auch mich, es ist mein Grund der Begründung des langen, inzwischen gemeinsamen Weges den wir miteinander gehen und den wir weiter miteinander gehen wollen, nämlich das Engagement, das ich mir wünsche von dem Volk dem ich angehöre, für diese Freiheit in einem universellen Sinne, für Menschen und ihre Rechte. Und seien wir uns bitte darüber klar, wenn der friedliche Weg zur Rettung eines Volkes, den nur wenige in der Geschichte bereit waren und bereit sind zu gehen, im Gegensatz zu den Bomben, wenn dieser Weg scheitert, ja, dann ebnen wir unseren Kindern und Enkeln den Weg in eine gewalttätige und zerstörerische Zukunft. Dann sind nämlich die, die die Bomben werfen die Klügeren. Und den Streit den wir führen, aber auch das Engagement das wir an den Tag legen, es geht um diese Frage: Wer diese Dimension menschlichen Zusammenseins gewinnt?
Und mit der gebotenen Zurückhaltung, die wir uns in der Politik befleißigen, ist deshalb dieser Preis ein Zeichen, ein Signal. Eine Anerkennung und ein Appell zugleich. Niemand stellt heute die Integrität der chinesischen Grenzen in Frage. Aber wir sind davon überzeugt, dass Menschenrechte universelle Geltung haben. Menschen haben das Recht zu glauben, sie haben das Recht, die Riten ihrer Religion zu praktizieren, und Menschen überall auf der Welt haben das Recht, die Sprache ihrer Väter und Mütter ungestraft zu sprechen, und es ist eine existenzielle Bedingung eines jeden Volkes, seine Lieder, seine Traditionen in Freude zu leben. Ein Land, in dem diese Sätze nicht selbstverständlich sind, wird letztlich keinen inneren Frieden finden. Das gilt für jeden Platz auf unserer Erde, ob in Europa, ob in Afrika aber auch in China.
Der XIV. Dalai Lama hat in der Geschichte des tibetischen Volkes in seine religiöse und die weltliche Herrschaft aufgelöst. Eine religiöse Führerschaft mit den demokratischen Bedingungen einer Exilregierung, eines gewählten Parlaments der Exil-Tibeter verbunden. Und deshalb sage ich hier auch in aller Klarheit: Ein Weg des friedlichen Kampfes steht heute auch in seinem Volk zur demokratischen Diskussion, sie ist nicht nur seine Anordnung und es gehört zur Wahrheit zu sagen, dass auch dort Ungeduld und tief verankerte religiöse Hochachtung vor dem geistlichen Führer in Konkurrenz geraten. Auch ein noch so faszinierender, noch so moralischer und noch so zukunftsweisender Weg steht unter der Frage des Erfolges. Erfolg klingt dabei sehr technokratisch, es geht dabei in Wahrheit um die Rettung von Identität eines der ältesten und interessantesten Kulturvölker der Menschheit.
Wir dürfen nicht nachlassen, mit unserem Einsatz für eine bessere und gerechtere Welt zu kämpfen. Das ist das Motiv auch des Preises. Tibet ist dafür ein Testfall. Sie, Eure Heiligkeit, haben manche diplomatische Meisterleistung vollbracht. Friedliche Lösungen ohne Gewalt zu erreichen braucht Diplomatie. Diplomatie, wenn sie erfolgreich sein will, setzt den Glauben an die Erfüllbarkeit der eigenen Mission voraus, und dann erwächst daraus die Überzeugungskraft Kurz zu halten.
Als Ihr Freund liegt mir auf der Zunge zu sagen, die Geschichte hat Ihnen bisher Recht gegeben. Als ein Freund der zugleich ein nüchterner Beobachter ist, formuliere ich anders: Die Geschichte hat Sie bisher nicht widerlegt. Sie mussten 20 Jahre warten, bis es zur ersten Kontaktaufnahme mit Peking kam. Und dann scheiterten die Gespräche. Und Sie sind auch jetzt Gott sei Dank wieder mit der chinesischen Seite in einem ernsten und intensiven Gespräch. Der Ansatz des mittleren Weges, den Sie verfolgen, der setzt auf Vertrauen, auf gegenseitiges Vertrauen. Und erst wenn dieses wirkliche Vertrauen geduldig erarbeitet ist, trotz der Bedrängnis der Zeit geduldig erarbeitet ist, und von beiden Seiten wirklich gewollt ist, gibt es Chance zur Lösung des Problems.
Ich bin mit Ihnen zuversichtlich, dass sich am Ende auch auf der Seite der chinesischen Regierung die Einsicht durchsetzen wird, dass eine friedliche Lösung des Problems Tibet mit Ihnen, Ihnen persönlich, als Anwalt der Tibeter im chinesischen Interesse liegt und den Weg Chinas in der Welt erst wirklich abschließt. In diese, unsere Welt drängt China heute. Und wir sagen, der Lebenswille des Chinesischen Volkes drängt, und der Lebenswille des tibetischen Volkes drängt, drängt uns auch.
Durch die Verankerung in Ihrem Glauben, den wir als Christen sehr respektieren und bewundern, sehen Sie keine Alternative zum Frieden. Das ist eine gewaltige moralische Entscheidung in der Lage, in der Sie sich in Verantwortung für die Ihnen anvertrauten Menschen befinden.
Die Geschichte des Hessischen Friedenspreises ist eine Geschichte von Vorbildern. Und erneut der Satz, den ich schon einmal zitiert habe: „Wer anderen Leid zufügt, und ihren Frieden und ihr Glück verletzt, schafft auf lange Sicht nur Bedrängnis, Furcht und Misstrauen gegenüber sich selbst.“ Weil Sie nach diesem Prinzip trotz ihrer eigenen Bedrängnis und trotz der Bedrängnis Ihres Volkes leben, und die Kraft haben, Ihr Volk zu führen, erhalten Sie heute den Hessischen Friedenspreis. Eure Heiligkeit, möge das Glück der Menschen Ihr Glück sein.