Leseprobe: Beim Wort genommen
„Ich will Helmut Kohl nicht kopieren, aber ich habe viel von ihm gelernt!“
Auszüge aus dem Buch
„Beim Wort genommen – Roland Koch im Gespräch mit Hugo Müller-Vogg.“
Welcher Politiker hat sie über all die Jahre am meisten beeindruckt, vielleicht sogar auch geprägt?
„Mich haben die Bekanntschaft und die spätere Nähe zu Helmut Kohl stark geprägt. […] Kohl ist einer der wenigen europäischen Politiker, der die Fähigkeit hat, aktuelle Krisen und Schwierigkeiten in eine angemessene Relation zu langfristigen Zielen und Strategien zu setze. […] Darin findet er die Gelassenheit, die man zur Erreichung von Zielen braucht. Ich kann und will ihn gar nicht kopieren.
Aber in diesem Punkt kann man von ihm viel lernen.“
Es heißt immer, Kohl könne alles vertragen, nur keine Kritik.
„Wer mit Kohl kritisch diskutiert, muss allerdings auch seine Barschheit aushalten, alle Einwände zunächst einmal in Grund und Boden zu verdammen. Danach wird es erst wirklich interessant. Und dann ist wichtig, ob der andere noch steht oder nicht. Kohl hat es sich wohl zum Lebensprinzip gemacht, sich
nur mit denen zu beschäftigen, die dann noch stehen. Das ist möglicherweise unangenehm in der Diskussion und das führt auch mal dazu, dass der Telefonhörer auf die Gabel
geknallt wird.“
Durch Sie?
„Nein, aber durch ihn. Wenn auch selten. Auf die wenigen Fälle bin ich genau so stolz wie auf die vielen friedlichen Gespräche.“
Eine Begegnung ganz anderer Art in ihrem Leben: Joseph Martin Fischer.
„Ich habe ja schon erzählt, dass ich ein großer Fischer-Profiteur bin. Als ich mich 1987, noch zur Zeit der Wallmann-Regierung, in der Fraktion um Umweltpolitik und Fragen der Kernenergie kümmerte, war Fischer grüner Oppositionsführer. Reaktorschäden, Plutoniumskandal – das waren die Top-Themen.
Ich hatte die Aufgabe, ihm in den parlamentarischen Redeschlachten zu antworten. Das
hat mir eine Aufmerksamkeit verschafft, die ich mit Wirtschaftsförderung, Sozial- oder Haushaltspolitik nie hätte erreichen können.
Diese Kombination von Thema und politischem Widerpart hat mir eine ideale Darstellungschance gegeben. Am Ende der Legislaturperiode, im Herbst 1990, wurde ich Fraktionschef. Das wäre sonst doch undenkbar gewesen.“
Wie sehen Sie Joschka Fischer heute?
„Die Rolle, die Fischer in seinen frühen Jahren gespielt hat, sind für mich doch eher ein Hindernis, ihn ganz unbefangen zu sehen.
Verprügelte Polizisten, das Mitwirken an konspirativen Treffen, gewalttätige Demonstrationen – er ist eben in seinen nicht mehr ganz so jungen Jahren sehr, sehr weit von dem weg gewesen, was ich akzeptieren kann.“
Es müsste Ihnen doch gegen den Strich gehen, wenn ein Joseph Fischer, der früher am Rande der Legalität operierte, heute als toller Kerl gilt, der eben ein paar Jugendsünden begangen hat, während
Politiker wie Sie, die keine Steine geworfen haben, eher als langweilig gelten.
„Die öffentliche Wahrnehmung von Fischer ist ein Phänomen. Vielleicht kann man das als Schwiegermutter-Syndrom bezeichnen. Man freut sich, dass einer, der mal so daneben geraten war, sich so toll entwickelt hat. Der Stolz über diese Entwicklung übertüncht die ganze Vergangenheit. So erkläre ich mir Fischers aktuellen Beliebtheitswerte, denn weder seine Bedeutung im Kreis der Außenminister noch sein heutiges Verhalten rechtfertigen diese doch sehr außerordentliche Stellung in der Popularitätsskala der deutschen Politik. Da bin ich möglicherweise etwas altmodisch: Der eigene Lebensweg sollte glaubwürdiger sein. Viele von Fischers revolutionären Freunden, die mit ihm im Taunus Steine werfen geübt haben, sind heute in beachtlichen gesellschaftlichen Positionen. […] Ob aber einer mit dieser Vergangenheit Außenminister werden muss, darf man doch sehr bezweifeln.“
Hans Eichel hatte in Hessen das Image eines AOK- Abteilungsleiters, Stichwort: bebrillte Büroklammer. […] Liegt ihm die heutige Tätigkeit mehr?
„Er verkörpert weniger ein Land als ein Zahlenwerk. Allerdings ist Eichel ein Finanzminister von der Art, die heute eigentlich überholt ist.
Manches in Hessen ist heute nur möglich, weil wir an die Finanzen kreativer und innovativer herangehen, als das zu Eichels Zeiten der Fallwar. Heute ist Eichel auf Bundesebene eine Innovationsbremse bei allem, das mit Geld zu tun hat.“
Als Ministerpräsident haben Sie häufig mit dem Bundeskanzler zu tun. Wann aber sind Sie Gerhard Schröder zum ersten Mal begegnet?
„Die erste längere persönliche Begegnung war, als ich unmittelbar nach meiner Wahl zum Ministerpräsidenten auch Bundesratspräsident wurde und meinen Antrittsbesuch beim Bundeskanzler machte. Gelegentlich gibt es Gespräche,wenn das Amt es erfordert. Ich habe nicht den Eindruck, dass ihm an intensiven Kontakten liegt.“
Ihnen etwa?
„Nein. Wir machen beide unseren Job. Ansonsten gibt es da keine persönliche Nähe.“
Hat Schröder bestimmte Eigenschaften oder Fähigkeiten, die sie auch gerne hätten?
„Nicht wirklich“ würde mein Sohn Peter da sagen. Nein, ich habe ein prinzipielles Problem mit Gerhard Schröder. Wo immer ich ihn erlebe, wo immer ich beobachten kann, was er auch tut oder sagt – er ist und bleibt ein Spieler, dem das eigentliche Ergebnis seines Tuns ziemlich egal ist. Hauptsache er managt das Problem der tagesaktuellen Geschäfte in der Weise, dass er als vermeintlicher Gewinner im Fernsehen da steht. Schröder scherzt gerne darüber, dass er von den Details einer Sache nichts wissen wolle.
Er meint das aber nach meiner festen Überzeugung wirklich ernst. Deshalb lohnt es sich häufig nicht, mit ihm zu streiten. Schon gar nicht über grundlegende Entwicklungen, über Prinzipien – völlig überflüssig. Er hat keine. Er will immer „everybodys darling“, jedermanns Liebling sein. Und damit kann ich nichts anfangen.“
Kann man Gerhard Schröder wirklich nur als so beliebig darstellen?
„Solange Schröder geglaubt hat, es sei chic und modern, das Bild vom Genossen der Bosse zu pflegen, hat er das getan. Als er gemerkt hat, dass ihm nach dem Weggang von Oskar Lafontaine seine Partei um die Ohren fliegt, wenn er das weiter macht, hat er sich auf die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes konzentriert und nur noch Restriktionen für die Wirtschaft eingeführt.
Als er geglaubt hat, dass Deutschland in einer Ausnahmesituation wie dem 11. September bereit sei, mit den Amerikanern zu trauern, hat er in unverantwortlicher Übertreibung von der „uneingeschränkten Solidarität“ geredet, weil er ahnte, das kommt überall an. Dann der Irak. Schröder glaubte, es mache sich gut und bringe Stimmen, mal wieder gegen Amerika zu sein. Schon war er der Erste, der von uneingeschränkter Solidarität zur uneingeschränkten Illoyalität überging. Er macht es gerade, wie er es braucht. Jeweils sehr glaubhaft. Ich würde nie behaupten, dass er ein schlechter Schauspieler ist, aber er ist halt ein Schauspieler.“